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WÜRZBURG
Tocotronic sind auch in Würzburg gegen fast alles
Schrammeln und Schrubben: Tocotronic in Würzburg.
Foto: Hans Will | Schrammeln und Schrubben: Tocotronic in Würzburg.
Von unserem Redaktionsmitglied Alice Natter
 |  aktualisiert: 08.04.2013 13:18 Uhr

Vor den ersten Takten läuft ein Film für „Pro Asyl“. Werbung in der Würzburger Posthalle? Tocotronic dürfen das. Wenn sie sonst schon gegen fast alles sind. Gegen Scheißdeutschland, gegen die Fahrradfahrer dieser Stadt, gegen Ehrgeiz, gegen den Tod. Eigentlich auch gegen den Erfolg, aber den haben sie halt, da kann man nichts machen.

Seit nunmehr 20 Jahren stehen Tocotronic auf der Bühne und besingen den Niedergang. Zum Geburtstag hat die Hamburger Band Anfang des Jahres ein neues Album vorgelegt – die Feuilletons gratulierten und jubelten begeistert. 20 Jahre sind ja keine Selbstverständlichkeit in der schnelllebigen Popwelt . . . und wenn eine Band dann noch demonstriert, dass deutschsprachige Musik nicht gefühlsduselig oder gutelauneheischend, nicht predigerhaft, betroffenheitsmachend oder mundartbieder sein muss und Indie-Rock verschroben-verkopfte Texte mit T-Shirt-tauglichen Querdenkersprüchen haben kann!

„Hey, hey, hey“, singt der grauhaarig gewordene Dirk von Lowtzow in der halbiert gut gefüllten Posthalle fröhlich und heiter. Doch die Botschaft ist fatal. „Hey, hey, hey, ich bin jetzt alt, hey, hey, hey, bald bin ich kalt.“ „Im Keller“ ist der Eröffnungssong der neuen, zehnten Tocotronic-Scheibe („Wie wir leben wollen“), und auf ihrer Tour eröffnen die Hamburger damit die Konzerte. Es ist bei Weitem nicht der beste Song auf dem Album, bei Weitem nicht der beste Song des Abends. Doch verheißt er alles, was diese Band ausmacht. Er ist laut, er kommt dahergestampft, er ist durchdacht destruktiv.

Tocotronic sind nicht radiomain- stream-tauglich, sie machen nicht die genialste Musik, sie schrammeln und schrubben einfach roh ihre Gitarren, lassen die Verstärker verwaschen heulen und mögen es auf der Bühne rockig und laut. Gitarrist Rick McPhail wechselt für einige Songs an die Orgel, Dirk von Lowtzow nimmt dann die verstärkte Akustik-Gitarre, Jan Müller arbeitet weiter am Bass, Arne Zank bleibt hinterm Schlagzeug. Mal verdichten sich die E-Gitarren schmerzhaft, mal hellt der Sound fast psychedelisch auf. Und Dirk von Lowtzow schmachtet, säuselt, ächzt im Liebeslied „Warte auf mich auf dem Grund des Swimmingpools“.

Die aktuelle Tour ist auch ein Kramen im Tocotronic-Song-Fundus. Mit einer „historisch-kritischen“ Version von „Meine Freundin und ihr Freund“ blickt die Band zurück ins Anfangsjahr 1993 – gereift, krachender, druckvoll.

Das eine Gruppe mit den Jahren immer besser wird, ist im Pop nicht unbedingt vorgesehen. Aber in den 100 spiellaunigen Minuten beweist das Quartett das Gegenteil. Und dass das neue Album der Band, die für die vielen Verneinungen, für Protest und konsequentes Dagegen bekannt ist, etwas konstruktiver geworden ist? Man möge es bitte nicht mit Altersmilde verwechseln. Am Ende bleibt der rückgekoppelte Sound im Raum stehen, das Akkordegrummeln über der verlassenen Bühne endet im hohen Hall. Die 99 Thesen, wie man leben will, kann man im Booklet zum Album nachlesen.

 
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