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WÜRZBURG
Tiepolos Revolution in der Würzburger Residenz
Würzburger Residenz: Hat der Maler im Deckenfresko verklausuliert ein heliozentrisches Weltbild dargestellt? Es wäre gegen die offizielle Position der Kirche gewesen. Und das im Palast eines Bischofs.
Tiepolos Würzburger Treppenhaus-Fresko: Blick auf den an der Südwestseite dargestellten Kontinent Europa mit einem bemerkenswert großen Merkur (oben vor blauem Himmel fliegend). Schräg links darunter: Greiffenclau-Porträt in ovalem Rahmen.
Foto: Thomas Obermeier, hele | Tiepolos Würzburger Treppenhaus-Fresko: Blick auf den an der Südwestseite dargestellten Kontinent Europa mit einem bemerkenswert großen Merkur (oben vor blauem Himmel fliegend).
Ralph Heringlehner
Ralph Heringlehner
 |  aktualisiert: 11.12.2019 15:24 Uhr

Unter dem Zwang der Inquisition hatte Galileo Galilei (1564 bis 1642) widerrufen. Er hatte ein Weltbild gelehrt, bei dem die Erde sich um die Sonne dreht. Doch die katholische Kirche glaubte, die Erde sei der Mittelpunkt des Alls. Galileos Schriften landeten auf dem Index der verbotenen Bücher. Dort blieben sie bis 1835. Das Deckenfresko im Treppenhaus der Würzburger Residenz entstand Mitte des 18. Jahrhunderts. Wenn stimmt, was der britische Hobbyforscher Giles Davison behauptet, ist es eine – wenn auch verklausulierte – geistige Revolution gegen die offizielle Position der Kirche. Und das im Palast eines hohen Kirchenmannes!

„Tiepolo hat einen Merkur-Transit dargestellt“, sagt Davison. Solch ein Transit – das Vorbeilaufen des Planeten Merkur vor der Sonne – setzt ein Weltbild voraus, bei dem die Sonne im Mittelpunkt steht. Tiepolos Fresko stellt die vier damals bekannten Erdteile dar. Wer nach oben blickt, sieht keine astronomischen Darstellungen, sondern Menschen, Tiere, Engel, Architektur. Zudem sind griechische Götter quasi über die ganze Fläche von 18 mal 30 Metern verteilt. Doch in barocken Bildern ist nichts einfach nur das, was es scheint. Die Maler arbeiteten mit Symbolen, die hinter der gegenständlichen Oberfläche verschiedene Bedeutungen erschließen können.

Giles Davison steht auf der berühmten Treppe und deutet nach oben, Richtung Südwest: „Warum ist ausgerechnet Merkur am größten von all diesen Göttern dargestellt?“ Merkur, Götterbote und Gott des Handels, war auf dem Olymp eher eine Nebenfigur. Apoll, Gott des Lichts, der Künste und Wissenschaften, war bedeutender. Doch den malte Tiepolo, Merkur gegenüber, kleiner. Chef-Gott Jupiter platzierte er fast unauffällig samt Mundschenk Ganymed links unter Merkur auf eine rote Wolke.

Davison feilt seit über einem Jahrzehnt an seiner Theorie und hat eine Erklärung für die Größe der Götterfigur: Merkur ist nicht nur der (lateinische) Name eines griechischen Gottes, sondern auch der eines Planeten. Tiepolo habe ihn deswegen so hervorgehoben und vor ein helles Stück Himmel gesetzt, weil er auf ein astronomisches Phänomen aufmerksam machen wollte, das sich ereignete, als der Maler in Würzburg arbeitete: Am 6. Mai 1753 zog Merkur an der Sonne vorbei.

Unter wissenschaftlich Interessierten sei das bekannt gewesen, Vorhersagen waren damals schon möglich: Bereits 1629 habe Johannes Kepler eine Vorhersage des Merkur-Transits 1631 veröffentlicht. Bis 1743, sagt Davison, hätten an die 90 Wissenschaftler in Europa, China und Amerika dieses Phänomen gesehen. Inoffiziell erkannten mittlerweile auch Kirchenmänner die Richtigkeit des heliozentrischen Weltbildes an.

Der Merkur-Transit ist, so glaubt der Brite, aber lediglich ein Teil des großen Themas „Astronomie“, dem das Deckenfresko – auch – gewidmet ist. Das Porträt des Auftraggebers – Fürstbischof Carl Philipp von Greiffenclau – an der Südwestseite sei mit „Elementen von Galileos wissenschaftlicher Revolution umgeben“, erklärt der pensionierte Banker mit Cambridge-Diplom in Geschichte. Davison verweist auf die Götterfiguren von Jupiter und Ganymed. Galileo hatte mit einem Fernrohr die ersten vier Jupitermonde entdeckt, von denen einer Ganymed ist. Io und Europa – zwei weitere Jupiter-Monde – habe Tiepolo ebenso im Fresko untergebracht. Saturn stattete der venezianische Maler mit seinem kräftigen Körper aus – auch damit habe er auf Galilei verwiesen, der den Planeten im Sommer 1610 beobachtet hatte.

Galilei hatte auch herausgefunden, dass der Planet Venus Phasen hat wie der Mond. „Tiepolo hat Venus mit Schatten gemalt, die vom Kopf bis zu der Hüfte reichen, das Licht fällt auf Beine und Füße“, argumentiert Giles Davison und sieht's als weiteren Beweis für seine Theorie, dass das Deckenfresko damals neue astronomische Erkenntnisse verarbeitet. Giovanni Battista Tiepolo habe um derartige Zusammenhänge wissen können, glaubt Davison. In Italien sei der Maler mit Galileis Schriften in Berührung gekommen. Das damals revolutionäre Weltbild dann an der Decke der Residenz umzusetzen, sei ohne die Erlaubnis des Fürstbischofs aber wohl nicht möglich gewesen.

Carl Philipp von Greiffenclau (1690 bis 1754) wäre vielleicht der Richtige gewesen, um nicht völlig kirchenkonforme Wissenschaft unter der Hand darstellen zu lassen. Er war nicht nur ein Freund höfischer Pracht, sondern auch ein Freund der Naturwissenschaften. Gebildet durch Reisen beherrschte er vier Sprachen. Vor seiner Würzburger Zeit war er Rektor der Universität Mainz. Im Jahr seines Regierungsantritts, 1749, reformierte er die Würzburger Universität, wertete die Naturwissenschaften auf. Carl Philipp richtete einen Lehrstuhl für Experimentalphysik ein und stattete ihn finanziell großzügig aus.

Selbstbewusst soll der Herrscher gewesen sein und es nicht immer so genau mit kirchlichen Vorschriften genommen haben: „Ihro Hochfürstl. Gnaden aber beliebeten am Sonntag, Montag, Dienstag und Donnerstag Fleisch zu speisen“, heißt es in den „Protokollen des fürstbischof-würzburgischen Hofkouriers Johann Christoph Spielberger“ – und das in der Fastenzeit!

Durch und durch fortschrittlich denkender Freigeist aber – auch das gehört zum Bild – war Carl Philipp keineswegs: In seine Herrschaft fiel die letzte Hexenverbrennung im Fürstbistum Würzburg. Am 21. Juni 1750 brannte eine 70-jährige Nonne. Immerhin ließ Carl Philipp die Ordensfrau, die von Mitschwestern angezeigt worden war, enthaupten, bevor sie auf den Scheiterhaufen kam – was ihr den Feuertod bei lebendigem Leib ersparte.

Giles Davison steht mit seiner astronomischen Interpretation des weltbekannten Gemäldes alleine, obwohl er viele gute Argumente zu haben glaubt. Bei der Bayerischen Schlösserverwaltung habe man nicht sehr interessiert gewirkt, erzählt der 77-Jährige, der seit der Kindheit Verbindungen zu Würzburg hat. Dabei behauptet Davison gar nicht, die einzig wahre Deutung gefunden zu haben. „Tiepolo war ein Genie der Mehrdeutigkeit“, sagt er. Und seine Sichtweise füge eine weitere Bedeutungsebene hinzu, die das Kunstwerk noch ein wenig großartiger mache.

 
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