„Ich war mir bewusst, einen besonderen, wichtigen Tag zu erleben“, schreibt Thomas Brussig. „Mein Leben würde nun eine andere Richtung nehmen, und zwar eine, die ich mir sehr wünschte.“ Gerade ist das Manuskript seines Debütromans „Wasserfarben“ vom Berliner Aufbau-Verlag angenommen worden: „Um den Tag zu adeln, der in einer grauen Masse von Tagen sonst untergegangen wäre, beschriftete ich die Schublade der Kommode meiner Erinnerungen, die diesen Tag aufbewahrt, mit seinem Datum, dem 9. November 1989.“
Was Brussig (50) in seinem neuen Roman beschreibt, hat sich tatsächlich so abgespielt: Der Tag des Mauerfalls war auch die Geburtsstunde des Schriftstellers Brussig. Mit einem wichtigen Unterschied: Nur in der Wirklichkeit fällt die Mauer, im Roman bleibt sie stehen. Der 9. November '89 ist dort nur ein besonderer Tag für Brussig, nicht aber für die Deutschen. „Das gibts in keinem Russenfilm“ ist so etwas wie die fiktive Autobiografie des Schriftstellers Brussig in einem Deutschland, das bis zum heutigen Tag geteilt wäre.
Brussig, gebürtiger Ostberliner, bleibt Bürger der DDR, allerdings einer sehr veränderten DDR, die nicht mehr viel mit jenem grauen sozialistischen Staat gemein hat, den wir kennen. In Brussigs DDR gibt es jede Menge Windräder, genießen die Bürger Westreisen und träumt ein Regierungschef Gregor Gysi sogar schon von freien Wahlen. Warum also sollte man dieses Beinahe-Paradies freiwillig verlassen? Brussig bleibt somit seinem Lieblingsthema treu, der deutsch-deutschen Geschichte, die er in den meisten seiner Bücher („Helden wie wir“, „Am kürzeren Ende der Sonnenallee“), oft ironisch, behandelt hat.
Brussig vermischt kunstvoll reale biografische Fakten und Fiktion. Denn natürlich hat er tatsächlich in der Nationalen Volksarmee gedient, war Hotelportier und studierte an der Filmhochschule in Babelsberg. In seinem Roman allerdings erfindet er ein Dissidentenleben als Autor, das er in der Realität schon deshalb nicht haben konnte, weil er als Schriftsteller erst nach der Wende in Erscheinung trat. Die naheliegende Variante, dass er als Dissident wohl irgendwann in den Westen gegangen wäre, hebelt er mit einem Kniff aus: Der fiktive Thomas Brussig verspricht hoch und heilig, erst dann in den Westen zu reisen, wenn es alle DDR-Bürger können.
Ebenso fantasievoll geht Brussig mit den Biografien von Künstlern und Politikern um. Angela Merkel tritt als „Apfelkuchen-Angela“ und leidenschaftliche „Helden wie wir“-Leserin in Erscheinung, Günter Grass als gescheiterter Olympiabotschafter und so weiter. Wirklich genießen kann dieses Feuerwerk an Anspielungen, Satire und Namedropping allerdings nur, wem die Namen etwas sagen und wer von der DDR noch eine Vorstellung hat.
Ihr Überleben garantiert Brussig seiner DDR dadurch, dass sie sich zu einer blühenden „Elektrokratie“ entwickelt: Tausende von Windrädern produzieren Strom, der sich prima in den Westen verkaufen lässt. Bald erwartet die Bürger ein Lebensstandard wie in Norwegen oder Kuwait. Leider zementieren die Windräder aber so auch das System.
Thomas Brussig: Das gibts in keinem Russenfilm (S. Fischer, 384 Seiten, 19,99 Euro)