Welches Geheimnis die verführerische Schönheit umgibt, die im eleganten roten Abendkleid den Saal des Theaters Tanzspeicher in Würzburg durchstreift, wird schnell klar: Glas und Whiskyflasche in den Händen, gibt sie sich in zunehmendem Tempo dem Alkoholgenuss hin, nicht ohne dabei Blicke knisternder Sinnlichkeit ins Publikum zu werfen.
"Ausgewählte Unheimlichkeiten" heißt die aktuelle Produktion des Choreographen Thomas Kopp, die sich mit der Frage beschäftigt, warum wir Geheimnisse brauchen. Rund 350 Tänzerinnen waren diesmal fürs "kollektiv anderer tanz" gecastet worden. Mit Lilly Bendl (Niederlande), Anna Schneider (Deutschland) und Hannah Juliane Steenbeck (Schweiz) wurde die ideale Besetzung gefunden.
Die Tänzerinnen zeigten starke Präsenz
Sie sind während der knapp 100 Minuten nicht nur als Tänzerinnen, sondern auch als Schauspielerinnen mit umfangreichen und schwierigen Textpassagen gefordert. Und sie werden mit ihrer starken Präsenz, außerordentlichen Intensität und mit großem Können jedem Anspruch gerecht.
Dem Thema des Geheimnisses haben sich die Beteiligten mit viel Fantasie und Offenheit genähert. In alle möglichen Richtungen habe man recherchiert, so Kopp im Einführungsgespräch mit Maria Saemann, die am Theater für die Vermittlung von Tanz zuständig ist. Entstanden ist eine abwechslungs- und temporeiche Collage aus zeitgenössischem Tanz, Sprech- und Spielpassagen sowie Videoeinspielungen.
Was es mit gängigen Redewendungen auf sich hat
Ein Flüstern aus dem Off, eine Geheimniswiedergabe offenkundig, schwillt an, wächst sich mit dem Auftritt der Tänzerinnen zur philosophischen Betrachtung über Wesen und Wert des Geheimnisses an sich aus. Redewendungen ("Jeder hat ein Geheimnis", "Eine Leiche im Keller haben"), Interviews mit beruflichen Geheimnisträgern, Rätselgeschichten und -spiele wechseln sich ab. Sprachassistentin Siri gibt dazu Antworten, die erkennen lassen, dass es keinerlei Privatheit mehr gibt.
Die tänzerische Umsetzung legt die völlige Körperbeherrschung bei Bendl, Steenbeck und Schneider offen, deren Fähigkeit zur Isolierung und Verselbständigung von Körperteilen, zu akrobatischer Kunst und Eleganz. Mal gleiten sie wie ein unaufhörlicher Datenstrom dahin, mal wird eine Barockarie direkt in Bewegung übersetzt, dann zerlegen sie ein simultan vorgestelltes Bewegungsrepertoire. Eine großartige Energieleistung von Kopf und Körper muss man dem Trio bescheinigen.
"Eine Welt ohne Geheimnisse wäre eine Wüste an Langeweile": Gut, dass es sie gibt, denn sie waren kreative Quelle für einen absolut inspirierenden und kurzweiligen Abend.
Nächste Vorstellungen: 6./7./27. und 28. März, jeweils 19.30 Uhr.