Der Roman „Tannöd“ machte Andrea Maria Schenkel vor sieben Jahren über Nacht berühmt. Mit der finsteren Mordgeschichte aus der bayerischen Provinz hatte die Newcomerin ihr Erfolgsrezept gefunden: Als Grundlage diente ihr ein authentischer Kriminalfall, den sie leicht verfremdete und aus unterschiedlichen Perspektiven aufbereitete. Äußerst knapp zeichnete Schenkel (51) das Bild einer bäuerlich-archaischen Welt, die zwangsläufig zur Brutstätte des Verbrechens wird.
Ähnlich ging sie im Nachfolge-Roman „Finsterau“ vor, der ebenfalls im rückständig-ländlichen Bayern angesiedelt ist. Das neue Buch der Autorin dagegen spielt im kleinbürgerlich-städtischen Milieu. Schauplätze von „Täuscher“ sind Landshut und München während der Weimarer Republik. Wieder ließ sich Schenkel von einer wahren Geschichte inspirieren. Im Jahr 1922 wurde in Landshut ein Sohn aus gutem Hause wegen des angeblichen Mordes an zwei Frauen zum Tode verurteilt. Eine der Toten war ein „älteres Fräulein“, der mutmaßliche Mörder ihr jugendlicher Liebhaber. Eine Sensationsgeschichte, die die Presse aus ganz Deutschland in Scharen anzog. Sex and Crime geht eben immer.
Schenkel sagt, dass die Personen ihres Romans fiktional sind. Der Bürgersohn heißt bei ihr Hubert Täuscher und wird als etwas aus der Art geschlagener Spross eines Landshuter Bürstenfabrikanten eingeführt. Täuscher – der Name ist Programm – ist eine labile Figur, ein Spinner, der sich und anderen ständig etwas vormacht. Aber ist er deshalb gleich ein Verbrecher?
Er treibt sich in schlechter Gesellschaft herum, Täuschers Frauengeschichten sind auch nicht ganz koscher. Der um einiges älteren Klavierlehrerin Clara Ganslmeier verspricht er die Ehe, hat aber heimlich mit einer jungen Bürokraft ein Techtelmechtel. Eines Tages wird die Klavierlehrerin mit durchschnittener Kehle gefunden, während ihre Mutter mit einem Knebel erstickt wurde. Die Art, wie die beiden Frauen zu Tode gekommen sind, ähnelt einer Mordszene in einem Film, der zur selben Zeit im Landshuter Kino läuft. Da die Juwelen der Ganslmeier verschwunden sind, ermittelt die Polizei wegen Raubmordes. Der stets klamme Täuscher gerät schnell in Verdacht. Anders als in früheren Romanen der Autorin spielt diesmal auch ein Ermittler eine tragende Rolle. Kriminaloberwachtmeister Johann Huther zweifelt an der ihm allzu simpel erscheinenden Lösung, dass Täuscher der Mörder ist. Doch Staatsanwaltschaft und öffentliche Meinung schießen sich auf das liederliche Bürgersöhnchen ein. Während die dramatischen Zeitgeschehnisse – es ist Inflation – meist außen vor bleiben, ist das kleinbürgerliche Milieu recht gut geschildert, mit reichlich bayerischem Lokalkolorit.
Andrea Maria Schenkel: Täuscher (Hoffmann und Campe, 240 Seiten, 18,99 Euro)