Das jüngste Konzertereignis im Meininger Staatstheater könnte man fast augenzwinkernd mit der Frage verknüpfen, ob sich bei Beethovens Schauspielmusik zu Goethes „Egmont“ nicht die Auftragsverhältnisse verkehrt haben. Hat hier etwa der Komponist posthum den jungen Schweizer Schriftsteller Giuliano Musio gebeten, einen Begleittext zur Musik zu schreiben und nicht Goethe Beethoven beauftragt, eine Begleitmusik zum Trauerspiel zu komponieren?
Selbst wenn Beethoven Musio keinen himmlischen Befehl erteilt haben sollte, könnte man im Sinne des Komponisten ergänzen: „Bitte eine zeitübergreifende, Egmonts psychische Labilität und ihre Folgen beschreibende Erzählung, die sich nahtlos ins musikalische Geschehen einfügt!“
Meininger Hofkapelle auch reduziert mit einem mächtigen Klang
Das, was die 170 zugelassenen Zuschauer bei der Eröffnung der Meininger Musiktheatersaison im Großen Haus erlebten, dürften sie lange in Erinnerung bewahren. Endlich, endlich wieder ein Konzert auf offener Bühne! Dann die lange erwartete Würdigung von Beethovens 250. Geburtstag, mit einem zwar krisenbedingt reduzierten, aber immer noch mächtigen Klangkörper der Meininger Hofkapelle unter Generalmusikdirektor Philippe Bach. Dazu die leidenschaftliche Lesung von Musios Erzählung durch Michael Jeske und die einfühlsame Interpretation der beiden Lieder der Schauspielmusik („Die Trommel gerühret“, „Freudvoll und leidvoll, gedankenvoll sein“) durch die Sopranistin Monika Reinhard.
Der Text des Schweizer Autors (der bei der Meininger Premiere zugegen war) charakterisiert, mit sanfter Ironie und ohne Pathos, die widersprüchliche Persönlichkeit des flandrischen Freiheitshelden und beleuchtet gleichzeitig das Verhalten Egmonts aus gegenwärtiger Sicht. Ab wann ist Opportunismus und Gutgläubigkeit gegenüber skrupellosen Machthabern unvereinbar mit dem Gewissen eines freiheits- und gerechtigkeitsliebenden Menschen?
Erzähler Musio gibt dem "Egmont" neue Wendungen
Nicht nur Belarus liegt da um die Ecke, mehr als 400 Jahre nach dem niederländischen Freiheitskampf gegen das spanische Königshaus. Bemerkenswert, dass Musio – anders als das Trauerspiel – Egmont seine Ehefrau Sabina, Mutter von elf Kindern, zur Seite stellt, und nicht das geliebte Klärchen. Und noch besser: Sabina überlebt und kämpft nach Egmonts Tod weiter. Jetzt erst recht. Das entspricht zwar nicht der historischen Wahrheit: sie starb, völlig verarmt, im selben Jahr wie Egmont. Aber, wiederum augenzwinkernd, könnte man sagen: „Wir wünschen den Müttern der Revolution ein langes Leben.“
So schwebt durch Lesung, Liedvortrag und Musik, trotz der Tragik der Ereignisse, so etwas wie sanfte Hoffnung über den Köpfen. Die Meininger Musiker filtern aus den aufrührerischen, kämpferischen, heroischen, den düsteren, schmerzlichen und trauernden Tönen der Schauspielmusik immer wieder eine zögerliche Stimmung der Zuversicht heraus, die sich sogar vom Pathos der Siegessymphonie am Ende des Werkes zu distanzieren scheint.
Nächste Vorstellung: 20. September, 19 Uhr. Kartentelefon: (03693) 51 222. Internet: www.meininger-staatstheater.de