Um eine Erkenntnis in Hirn und Herz zu verankern, braucht es eine Geschichte und nicht nur eine Abfolge dramatischer Szenen. Lars Werneckes Inszenierung des amerikanischen Südstaatendramas „Süßer Vogel Jugend“ ist eine Geschichte im besten Sinn. Das Schauspiel von Tennessee Williams feiert in Meiningen Premieren.
Das Publikum wird in die Handlung hineingezogen, erlebt und erkennt mitten im Milieu das, was die Menschen umtreibt und warum. Das fühlt sich fast so an, als würde man als teilnehmender Beobachter einer Art psychoanalytischen Kammerspiels den Blick nicht von den Menschen wenden wollen. Und wie vor kurzem in der Meininger Inszenierung von Ibsens „John Gabriel Borkman“, gibt es auch aus dieser Echokammer für die Betroffenen kein Entrinnen. Insofern ist Tennessee Williams ein Seelenverwandter des Norwegers. Er analysiert die Menschen mit schmerzhafter Offenheit, indem er sie in ihrem Getriebensein zwischen Angst und Hoffnung, zwischen massivem Selbstbetrug und schimmernder Selbsterkenntnis, zwischen Fantasterei und schnöder Wirklichkeit hin- und herschwanken lässt.
Eine alternden Hollywooddiva und ihre erfolglosen Gigolos
In „Süßer Vogel Jugend“ geht es um das triste Leben eines ungleichen Paars: einer alternden Hollywooddiva und ihres erfolglosen jungen Gigolos, der sich durch ihre guten Kontakte zu Filmproduzenten eine Schauspielerkarriere erhofft. Der Stoff wurde mit Paul Newman und Geraldine Page verfilmt und steht am Anfang einer Reihe von filmischen Abgesängen auf die Traumfabrik und ihre Ikonen. Jüngstes Meisterwerk: Quentin Tarantinos „Once upon a time in Hollywood“.
Für Alexandra del Largo (Ulrike Walther) und Chance Wayne (Yannick Fischer) scheint die Lage ausweglos. Auf der Flucht vor der Öffentlichkeit sind sie in einem Luxushotel in Chances Geburtsort gelandet, das schon bessere Zeiten gesehen hat. Dort will der Mann seine einzige große Liebe (Katharina Walther) wiedergewinnen, die als Tochter eines rassistischen Politikers (Michael Jeske) keine Möglichkeit sieht, der Allmacht ihres Vaters zu entrinnen. Und so nimmt die Tragödie ihren Lauf.
Schauspieler haben den Habitus ihrer Figuren verinnerlicht
Ähnlich wie in Ibsens Borkman lebt die Handlung von langen, intensiven Dialogen, von Wortgefechten zwischen Schönrednerei und Klarheit. Wernecke lässt zudem seine Protagonisten an den Bühnenrand treten, um ihre Versuche der Selbsterkenntnis dem Publikum Auge in Auge zu bekunden. Das könnte ermüdend wirken, tut es aber nicht. Vor allem deshalb nicht, weil die Schauspieler nicht nur ihre Texte verinnerlicht haben, sondern den gesamten Habitus ihrer Figuren. Das Konstruktionsprinzip der Handlung bleibt so dezent im Hintergrund.
Besonders Ulrike Walther und Yannick Fischers Spiel trifft unser Hirn und unser Herz: Intensität, Euphorie und Verzweiflung, ohne zwischen den Worten spürbare Regieanweisung. Auch Michael Jeskes und Katharina Walthers Rolleninterpretation gehen einem besonders nahe. Und das gesamte Ensemble (immerhin dreizehn Akteure) schafft das, was man „atmosphärische Dichte“ nennen könnte. Obwohl Bühnenbild und Kostüme von Cornelia Brey ein naturalistisches 50er-Jahre-Südstaatenmilieu andeuten, spürt man so etwas wie einen Luftzug in die Gegenwart – ein Fenster, durch das die zeitlosen Ängste vor dem Altern zu uns herüberwehen, die Furcht vor der allzu schnellen Vergänglichkeit des süßen Vogels Jugend und vor dem Ende der Träume eines idealen Lebens voller Bedeutung.
Nächste Vorstellungen: 8. März, 19 Uhr, 21. März, 19:30 Uhr. Kartentelefon 03693-451 222. www.meininger-staatstheater.de