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Maßbach
Hinter der Fassade der Wohlanständigkeit
Edward Albees Drama „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ im Maßbacher Theater
'Wer hat Angst vor Virginia Woolf' mit (von links) Anna Schindlbeck, Ingo Pfeiffer, Lukas Redemann und Sandra Lava.
Foto: Sebastian Worch | "Wer hat Angst vor Virginia Woolf" mit (von links) Anna Schindlbeck, Ingo Pfeiffer, Lukas Redemann und Sandra Lava.
Siggi Seuß
 |  aktualisiert: 06.02.2020 02:11 Uhr

Auch ohne Kenntnisse der Psychoanalyse begreift man, was sich nach der Rückkehr eines seriösen Paars mittleren Alters von einer feuchtfröhlichen Abendrunde zu Hause ereignen könnte. Wahrscheinlich würden die beiden mit den üblichen Szenen einer fortgeschrittenen Ehe ermattet ins Bett sinken. Aber nein! Dummerweise haben Martha und George – Leitfiguren in Edward Albees Schauspiel "Wer hat Angst vor Virginia Woolf?" - noch ein junges Ehepaar auf ein paar Absacker eingeladen. Und das heißt: Das Spiel beginnt jetzt. Zum Greifen nah im Maßbacher Intimen Theater, in der Inszenierung von Susanne Pfeiffer.

Das perspektivisch verschobene Bühnenbild von Patrick Schmidt (Kostüme: Daniela Zepper) mit einer rampenähnlichen Schräge und einer Bodeneinlassung, aus der sowohl reichlich Hochprozentiges kredenzt wird als auch die Geister der Vergangenheit entweichen könnten, lässt den ersten Schluss zu: Hier geht es um mehr als um die Sezierung des Endes eines amerikanischen Traums.

Harmonisches Eheleben im wohlanständig intellektuellen Milieu

Diesen haben uns einst Liz Taylor und Richard Burton in Mike Nichols meisterlicher Verfilmung von 1966 vor Augen geführt: den Traum vom harmonischen Eheleben im wohlanständig intellektuellen Milieu einer Ostküstenkleinstadt namens New Carthago, in der Martha (Sandra Lava), Tochter des allmächtigen Collegepräsidenten, vor zwanzig Jahren den frischgebackenen Geschichtsprofessor George (Ingo Pfeiffer) geheiratet hat.  Nicht zuletzt in der Hoffnung, der Gatte möge erfolgreich im bildungsbürgerlichen Provinzmilieu reüssieren.

Dass der Traum alsbald zerplatzt, lässt die von sich und dem Leben enttäuschte Ehefrau den Mann immer wieder mit verbalen Nadelstichen spüren. Und der kontert mit zynisch-logischem Kalkül. Das Spiel des gegenseitigen verbalen Vernichtens funktioniert natürlich am besten in kleiner Gesellschaft und in angetrunkenem Zustand.

Enttarnte Lebenslügen

Und so werden der karrieregeile Jungbiologe Nick (Lukas Redemann) und seine völlig naiv erscheinende Ehefrau (Anna Schindlbeck) förmlich ins Ehedrama hineingesogen. Aus Spiel wird Ernst. Und Albees Kunst besteht vor allem darin, im Lauf einer Nacht Stück für Stück die Bausteinchen der Lebenslügen beider Paare auf den Tisch zu legen und dann von demselben zu fegen.

Die Handlung lebt von der ungeheuren Dynamik von Abstoßung und Anziehung, verbal und mimisch. Und sie lebt von der allmählichen Selbstentblößung der Beteiligten, die die Unter- und Hintergründe des Geschehens freilegt. Das ist universell und zeitlos. Deshalb geht es uns im Zuschauerraum so nahe: Wie schnell die Fassaden der Wohlanständigkeit bröckeln können und wie die Eskalation eines Wortgefechts Vertrauen und Achtung unwiederbringlich zerstört, selbst wenn die Verursacher nach dem Kampf stillschweigend und friedlich ins Schlafgemach ziehen.

Insofern sieht der Schreiber dieser Zeilen am Ende keinerlei „Befreiung aus der existenziellen Erstarrung“, die das Programmheft suggeriert. Einer „reinigenden Dimension“ steht nach wie vor die Macht der Gewohnheiten sowie der selbst gewählte Eintritt in den Zwang der Verhältnisse entgegen.

Offenlegung des biografischen Hintergrunds kommt zu kurz

Bei allem Respekt vor der immensen schauspielerischen Leistung von Sandra Lava, Ingo Pfeiffer, Anna Schindlbeck und Lukas Redemann in diesem wortgewaltigen (auf zwei Stunden gerafften) Kammerspiel: Die langsame aber stetige Offenlegung des biografischen Hintergrunds der Figuren kommt zu kurz.

Die spontanen Erregungszustände überdecken häufig die bereits lange währenden Kräfte dahinter. Es wird auf engstem Raum unablässig in verschiedensten Tonlagen gekämpft, so dass für den stimmlosen Schmerz kein Raum bleibt und die Charaktere in ihrer Entwicklung kaum glaubwürdig greifbar werden. Es wird also zu viel gespielt und zu wenig verkörpert. Das ist der Wermutstropfen des Abends.

Vorstellungen im Intimen Theater und auf Gastspielreisen bis 1. März. Infotelefon 09735-235. www.theater-massbach.de

 
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