
Fulminanter Auftakt für die zweite Auflage des Festivals "Neues Lied" in Würzburg: Der große Saal der Hochschule für Musik war ausgesprochen gut besucht, als der Bariton Christian Gerhaher und sein Klavierpartner Gerold Huber einen Abend gestalteten, der inhaltlich um Heinz Holliger und Nikolaus Lenau kreiste. Einführend hatte der Würzburger Musikwissenschaftler Hansjörg Ewert für die Sprache des spätromantischen Lyrikers Lenau sensibilisiert, dazu zahlreiche Anknüpfungspunkte für das Aufspüren und Erfassen der Mittel geliefert, die der Komponist Holliger zu deren Umsetzung in Musik einsetzt.
Mit drei kurzen Werken von Heinz Holliger für Klavier nach Gedichten von Georg Trakl öffnete Gerold Huber die Ohren der Zuhörer für einen Abend, in dem sich eine geschickt aufgebaute und höchst spannungsvolle Wechselbeziehung zwischen der Kunstliedsprache des 18. Jahrhunderts und der Musik der "Klassischen Moderne" entspann.
Gerhahers Sprechkultur ist exzellent, einen Textabdruck im Programmheft vermisst man nicht
Für Christian Gerhaher und auf dessen Stimme zugeschnitten komponierte Holliger den Zyklus "Lunea" (ein Anagramm für Lenau). Die 23 Aphorismen finden sich wenige Jahre später eingestreut in die 2018 uraufgeführte gleichnamige Oper wieder. Kurzschlussartigen Gedankenblitzen gleich, so Hansjörg Ewert, mit düsterer gehaltener Textgrundlage, erhalten sie in Holligers Musik gewaltigen, gespenstischen Niederschlag.
"Ich habe mir die Augen in Honig gewaschen", singt Gerhaher, bewältigt in dem 30-minütigen Zyklus höchste Anforderungen, spielt mit Mikrotonalität, weiten Intervallsprüngen, extremer Dynamik, Sprechgesang und Melismen, mit abrupten expressiven Umbrüchen. Seine Sprechkultur ist exzellent, einen Textabdruck im Programmheft vermisst man nicht.
Gerold Huber als kongeniale zweite künstlerische Hälfte muss nicht nur einen virtuosen Tastenpart bewältigen – edel seine Anschlagskultur –, sondern auch zupfen, streichen oder klopfen. Wie vollkommen die beiden Künstler harmonieren, macht sich eindrücklich in völlig geschlossenem Gestalten bei absolut losgelöster Metrik und Form bemerkbar.
So eindringlich und fesselnd "Lunea", so bildhaft und hochromantisch drei Oden von Hugo Wolf. Robert Schumanns Gedichtvertonungen und ein Requiem wiederum geraten ausgesprochen seelenvoll und lyrisch. Dazu treten glühende Inbrunst und stimmgewaltige Innigkeit, auch feine Ironie ("Husarenlieder"). Ein Abend in Vollendung, Jubel für Gerhaher und Huber bereits nach "Lunea", schließlich minutenlange stehende Ovationen. Keine Zugabe – eine Krone kann man nicht krönen.