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BERLIN
Sten Nadolny und der Segen der Erschwerung
Sten Nadolny
Foto: dpa | Sten Nadolny
Das Gespräch führte Roland Mischke
 |  aktualisiert: 26.09.2013 22:12 Uhr

Der Schriftsteller Sten Nadolny („Die Entdeckung der Langsamkeit“) hält sich abseits vom Literaturbetrieb samt Medienrummel. Gleichwohl hat er eine Meinung dazu. Wie nebenbei spricht er mit latentem Humor, aber auch kritischem Unterton über die Entwicklung der deutschsprachigen Literatur, der Verlagspolitik und die Bestseller-Gier der Branche. Zudem verrät er, wie er seine eigene schriftstellerische Arbeit versteht und betreibt.

Frage: Herr Nadolny, wie gefällt Ihnen die heutige deutschsprachige Literatur, vor allem die der jüngeren Autoren?

Sten Nadolny: Das bisschen, was ich lese, schreibe ich mir selber! Der Satz ist leider nicht von mir, aber ich zitiere ihn gern. Sicher ist, dass ich über die zeitgenössische deutsche Literatur nicht kompetent urteilen kann. Ich lese da hauptsächlich, was Autoren schreiben, mit denen ich befreundet bin.

Welche Autoren sind das?

Nadolny: Ich nenne am besten nur einen, sonst wird es listenhaft: Ernst Augustins neuen Roman „Gutes Geld“.

Nehmen wir mal Daniel Kehlmann und Clemens Meyer und ihre viel beachteten Romane. Beide Autoren erleben das Land, ja das Leben völlig unterschiedlich. Wer ist näher dran?

Nadolny: Für mich ist „nahe dran“ kein so gutes Kriterium. Eher „weit genug weg“, womit ich nichts gegen alle, auch literarischen Formen von Journalismus sagen will.

Ein Wort zu Kehlmann, bitte!

Nadolny: Den neuen Kehlmann habe ich nicht gelesen. Dieser Autor erinnert mich manchmal ein bisschen an mich. Deshalb schwankt mein Urteil über das, was er macht, zwischen Extremen.

Und Meyer?

Nadolny: Den habe ich gelesen. Clemens Meyer hat den Mut, vom Leser etwas zu verlangen, er ist weit genug weg von eingefleischten Lesegewohnheiten. Überhaupt sollte man in der Literatur gelegentlich ein wenig über den Segen der Erschwerung nachdenken. Die leichte Lektüre ist ja keineswegs das, wonach wir uns sehnen. Clemens Meyer wird einer der Großen, gar keine Frage.

Wir haben ihn auf Buchmessen und bei Lesungen als sehr unkonventionellen Zeitgenossen erlebt, viril, rüpelnd, ständig mit der Bierflasche und ziemlich entfernt von jeder Form der Höflichkeit.

Nadolny: Er sollte sehen, dass ihm nichts passiert und dass er lange gesund bleibt.

Sind die teilweise immensen Summen, die für Manuskripte gezahlt werden, gerechtfertigt?

Nadolny: In meinem Falle unbedingt! Der Schönheitsfehler ist nur, dass ich nie „immense Summen“ bekommen habe. Im Ernst: Es ist Sache der Verleger, welche Wagnisse sie eingehen wollen. Wenn es sich nicht rechnet, werden sie es lassen und das Wagnis lieber dort auf sich nehmen, wo es hingehört: bei noch unbekannten Autoren. Das fängt beim sorgfältigen Lesen „unverlangt“ eingesandter Manuskripte an und geht weiter mit dem Mut, Gutes von Nobodys herauszubringen. Die klassische, wirklich unternehmerische Verlegerleistung.

Gibt es in der deutschsprachigen Literatur immer mehr diesen Mitleidston der Wohlstandskinder, die Verstrickung ins eigene Schicksal, auch das Grüblerische?

Nadolny: Gibt es, gibt es! Das kann alles ganz gut sein. Jedenfalls werden. Der Weg zur Schriftstellerei beginnt in den allermeisten Fällen damit, sich selbst ernst zu nehmen und sich dabei zeitweise für unerschöpflich interessant zu halten. Falsch ist daran nichts, und auch bei einer Nabelschau kann sich das Universum auftun. Man urteile doch bitte nicht verächtlich, über keine Art der Literatur, ausgenommen die verlogene und die ideologisch affirmierte.

Bei Ihrer Figur Weitling in „Sommerfrische“ beeindruckt das Unfertige, das Vorläufige, obwohl er ein schon pensionierter Jurist ist. Teilen Sie diese Lebenssicht?

Nadolny: Sicher, sonst hätte ich ihn mir nicht so gezimmert. Ein Satz, der bei mir öfters vorkommt, heißt: Ich weiß über mich nicht alles, das ist meine Chance.

Alles ist offen?

Nadolny: Bis zum letzten Atemzug, was Erkenntnisse und die ganze Einstellung zum Leben betrifft.

Sie wurden im brandenburgischen Zehdenick geboren, sind aber am Chiemsee aufgewachsen. 2009 schrieben Sie mit Jens Sparschuh in „Putz- und Flickstunde. Zwei kalte Krieger erinnern sich“ lustvoll über den Wehrdienst in Ost und West. Was war der Reiz an diesem Projekt?

Nadolny: Die Freundschaft mit Jens Sparschuh und unser Erzählen und Gelächter bei diesem Thema. Oder noch eher die Nachdenklichkeit, die sich dabei einstellte.

Ist die Wiedervereinigung gelungen?

Nadolny: Nee, nicht wirklich. Dazu gab es zu viele Verlierer, die an ihrem Unglück nicht selber schuld waren. Wichtig ist, dass sie Bestand hat und dass die Aufmerksamkeit und Kritik nicht so schnell erlahmen.

Stimmt es, dass Sie sich einen Trabi zulegten und damit durch Ostdeutschland geklappert sind?

Nadolny: Ja. Aber geklappert? Der Trabant war vor allem musikalisch.

Was waren die eindrücklichen Erlebnisse der Tour?

Nadolny: Eine führte in meine Geburtsstadt Zehdenick zu einer Lesung. Ich kam zu spät, weil wegen Starkregens die Scheibenwischer aufgegeben hatten. Aber alle waren noch da und feierten mich als Sohn der Stadt. Das wärmte mein Herz.

Ihren 80. Geburtstag, sollen Sie gesagt haben, werden Sie groß feiern. Was haben Sie vor bis dahin?

Nadolny: Immer das nächste Buch schreiben, so lange mir noch etwas einfällt. Gilt selbstverständlich auch für die Zeit nach dem 80. Geburtstag.


Sten Nadolny

Geboren wurde Sten Nadolny am 29. Juni 1942 im brandenburgischen Zehdenick als Sohn des Schriftstellerpaares Burkhard und Isabella Nadolny. Er wuchs am bayerischen Chiemsee auf. Sein Großvater, der Maler Alexander Peltzer, hatte dort ein Haus.

Nach dem Abitur in Traunstein studierte Sten Nadolny Mittelalterliche und Neuere Geschichte sowie Politologie. 1976 promovierte er an der Freien Universität Berlin zum Thema „Abrüstungsdiplomatie 1932/33“. Sein Großvater, Rudolf Nadolny, hatte damals die deutsche Delegation auf der Genfer Abrüstungskonferenz des Völkerbundes geleitet. Nach dem Studium war Sten Nadolny Geschichtslehrer in Berlin.

Der Roman „Die Entdeckung der Langsamkeit“ erschien 1983 und machte Nadolny auf Anhieb berühmt. Der Millionenseller wird immer noch gut verkauft und wurde in mehr als zwei Dutzend Sprachen übersetzt. Danach schrieb Nadolny noch mehrere Romane, alle waren erfolgreich, wenn auch nicht mehr so wie das Buch über die Langsamkeit, das nach wie vor einen Nerv der Gesellschaft trifft. Zuletzt, im Jahr 2012, erschien von ihm der Roman „Weitlings Sommerfrische“. Text: RM

 
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