Der Schriftsteller Sten Nadolny („Die Entdeckung der Langsamkeit“) hält sich abseits vom Literaturbetrieb samt Medienrummel. Gleichwohl hat er eine Meinung dazu. Wie nebenbei spricht er mit latentem Humor, aber auch kritischem Unterton über die Entwicklung der deutschsprachigen Literatur, der Verlagspolitik und die Bestseller-Gier der Branche. Zudem verrät er, wie er seine eigene schriftstellerische Arbeit versteht und betreibt.
Sten Nadolny: Das bisschen, was ich lese, schreibe ich mir selber! Der Satz ist leider nicht von mir, aber ich zitiere ihn gern. Sicher ist, dass ich über die zeitgenössische deutsche Literatur nicht kompetent urteilen kann. Ich lese da hauptsächlich, was Autoren schreiben, mit denen ich befreundet bin.
Nadolny: Ich nenne am besten nur einen, sonst wird es listenhaft: Ernst Augustins neuen Roman „Gutes Geld“.
Nadolny: Für mich ist „nahe dran“ kein so gutes Kriterium. Eher „weit genug weg“, womit ich nichts gegen alle, auch literarischen Formen von Journalismus sagen will.
Nadolny: Den neuen Kehlmann habe ich nicht gelesen. Dieser Autor erinnert mich manchmal ein bisschen an mich. Deshalb schwankt mein Urteil über das, was er macht, zwischen Extremen.
Nadolny: Den habe ich gelesen. Clemens Meyer hat den Mut, vom Leser etwas zu verlangen, er ist weit genug weg von eingefleischten Lesegewohnheiten. Überhaupt sollte man in der Literatur gelegentlich ein wenig über den Segen der Erschwerung nachdenken. Die leichte Lektüre ist ja keineswegs das, wonach wir uns sehnen. Clemens Meyer wird einer der Großen, gar keine Frage.
Nadolny: Er sollte sehen, dass ihm nichts passiert und dass er lange gesund bleibt.
Nadolny: In meinem Falle unbedingt! Der Schönheitsfehler ist nur, dass ich nie „immense Summen“ bekommen habe. Im Ernst: Es ist Sache der Verleger, welche Wagnisse sie eingehen wollen. Wenn es sich nicht rechnet, werden sie es lassen und das Wagnis lieber dort auf sich nehmen, wo es hingehört: bei noch unbekannten Autoren. Das fängt beim sorgfältigen Lesen „unverlangt“ eingesandter Manuskripte an und geht weiter mit dem Mut, Gutes von Nobodys herauszubringen. Die klassische, wirklich unternehmerische Verlegerleistung.
Nadolny: Gibt es, gibt es! Das kann alles ganz gut sein. Jedenfalls werden. Der Weg zur Schriftstellerei beginnt in den allermeisten Fällen damit, sich selbst ernst zu nehmen und sich dabei zeitweise für unerschöpflich interessant zu halten. Falsch ist daran nichts, und auch bei einer Nabelschau kann sich das Universum auftun. Man urteile doch bitte nicht verächtlich, über keine Art der Literatur, ausgenommen die verlogene und die ideologisch affirmierte.
Nadolny: Sicher, sonst hätte ich ihn mir nicht so gezimmert. Ein Satz, der bei mir öfters vorkommt, heißt: Ich weiß über mich nicht alles, das ist meine Chance.
Nadolny: Bis zum letzten Atemzug, was Erkenntnisse und die ganze Einstellung zum Leben betrifft.
Nadolny: Die Freundschaft mit Jens Sparschuh und unser Erzählen und Gelächter bei diesem Thema. Oder noch eher die Nachdenklichkeit, die sich dabei einstellte.
Nadolny: Nee, nicht wirklich. Dazu gab es zu viele Verlierer, die an ihrem Unglück nicht selber schuld waren. Wichtig ist, dass sie Bestand hat und dass die Aufmerksamkeit und Kritik nicht so schnell erlahmen.
Nadolny: Ja. Aber geklappert? Der Trabant war vor allem musikalisch.
Nadolny: Eine führte in meine Geburtsstadt Zehdenick zu einer Lesung. Ich kam zu spät, weil wegen Starkregens die Scheibenwischer aufgegeben hatten. Aber alle waren noch da und feierten mich als Sohn der Stadt. Das wärmte mein Herz.
Nadolny: Immer das nächste Buch schreiben, so lange mir noch etwas einfällt. Gilt selbstverständlich auch für die Zeit nach dem 80. Geburtstag.
Sten Nadolny
Geboren wurde Sten Nadolny am 29. Juni 1942 im brandenburgischen Zehdenick als Sohn des Schriftstellerpaares Burkhard und Isabella Nadolny. Er wuchs am bayerischen Chiemsee auf. Sein Großvater, der Maler Alexander Peltzer, hatte dort ein Haus.
Nach dem Abitur in Traunstein studierte Sten Nadolny Mittelalterliche und Neuere Geschichte sowie Politologie. 1976 promovierte er an der Freien Universität Berlin zum Thema „Abrüstungsdiplomatie 1932/33“. Sein Großvater, Rudolf Nadolny, hatte damals die deutsche Delegation auf der Genfer Abrüstungskonferenz des Völkerbundes geleitet. Nach dem Studium war Sten Nadolny Geschichtslehrer in Berlin.
Der Roman „Die Entdeckung der Langsamkeit“ erschien 1983 und machte Nadolny auf Anhieb berühmt. Der Millionenseller wird immer noch gut verkauft und wurde in mehr als zwei Dutzend Sprachen übersetzt. Danach schrieb Nadolny noch mehrere Romane, alle waren erfolgreich, wenn auch nicht mehr so wie das Buch über die Langsamkeit, das nach wie vor einen Nerv der Gesellschaft trifft. Zuletzt, im Jahr 2012, erschien von ihm der Roman „Weitlings Sommerfrische“. Text: RM