In Richard Wagners vierteiligem Bühnenfestspiel „Der Ring des Nibelungen“ wird dem titelgebenden Objekt zwar Form und Materialität zuerkannt – der Reif ist aus Gold geschmiedet –, vor allem aber ist er Symbol: Wer den Ring sein Eigen nennt, besitzt unermessliche Macht. Insofern darf sich der Regisseur Valentin Schwarz in den Spuren Wagners wähnen, wenn er die Ring-Macht erneut einem symbolischen Träger anheftet. Nur dass es diesmal kein metallener, sondern ein menschlicher ist, ein Kind, ein junger Bub.
„Das Rheingold“ ist der Auftakt des lange erwarteten, coronabedingt zwei Jahre verschobenen, nach wie vor durch Corona bedingte Umbesetzungen gebeutelten neuen Bayreuther Festspiel-„Rings“. „Das Rheingold“ also zeigt gleich im Vorspiel zu dem aus dem Graben aufsteigenden mystischen Es-Dur-Orchesterklang als Videoprojektion ein nicht weniger in das individuell menschliche Urgeschehen zurückreichendes Bild. Zwei an ihren Nabelschnüren hängende Embryonen, Menschen im unschuldigen Naturzustand. Wie werden sie sich entwickeln, welche Einflüsse werden sie prägen, wem wird sich sein Leben zum Guten, wem das seine zum Bösen neigen?
Der eine Junge – das Orchestervorspiel ist bereits in die Rheintöchter-Szene eingemündet –, der da zusammen mit seinesgleichen an einem Pool herumplanscht, mehr schlecht als recht beaufsichtigt von drei Kindermädchen namens Woglinde, Wellgunde, Floßhilde, dieser Junge hat Pech. Der verschmähte Alberich kidnappt ihn und macht sich auf und davon, um fortan des Kind, dessen Goldwert er hellsichtig erkennt, nach seinem Willen zu seinem Werkzeug zu formen – als Gewalt einsetzendes Mittel zur Macht.
Mythenwelten in Wohlstandwelten verwandelt
Man muss diesen Zusammenhang so ausführlich erzählen, weil er den Kern des ganzen Inszenierungsvorhabens enthält. Entschieden zieht Valentin Schwarz den Nibelungen-Mythos, wie Wagner ihn entwarf, in eine rein menschliche, sehr heutige Sphäre. Das Personal, das da auf der Bühne des Festspielhauses agiert, ist nicht mehr hierarchisch gegliedert: als da wären die Götter und Göttinnen – später im „Ring“ werden Halbgötter und Menschen hinzukommen –, die minderen Sphären zugeordneten Nibelungen und Riesen. Bei Schwarz hat die Götterdämmerung längst stattgefunden, geblieben sind Menschen von heute.
Mythenwelten haben sich in Wohlstandwelten verwandelt, die großen Fragen sind zu Problemen des Alltags geronnen. Und die sich damit herumschlagen, Typen wie du und ich: Architekten, die ihren Lohn einfordern, Fafner und Fasolt; Loge der Anwalt der Großfamilie von Wotan und Fricka; Alberich einer, der es nicht nach oben geschafft hat und nun auf Rache sinnt.
Brücken zu Netflix-Serienformaten
Dass Wagners „Ring“, so verstanden und erzählt, TV-kompatibel wäre, hat der Regisseur selbst eingeräumt, sieht er doch in Wagners generationsübergreifendem Vierteiler formale Brücken zu Netflix-Serienformaten geschlagen. Auf die Opernbühne gebracht, nimmt sich das umso problematischer aus. Auch wenn, für sich genommen, das Umschmieden des Goldreifs zum Goldjungen ein reizvoller Gedanke ist, muss die Regie doch so manches zurechtbiegen, dass beides zusammengeht, ganz zu schweigen von szenischen Leerstellen, bei denen Text und Musik gewissermaßen nackt dastehen. Aber derlei gilt aktualisierender Opernästhetik in der Regel als zu vernachlässigenswertes Kollateralereignis.
Wotan in Tennis-Shorts und Donner mit einem Golfschläger
Nicht weniger schwer wiegt, zumindest im „Rheingold“, dessen Bühnenbild Gestalt erfährt durch mehrere verschiebbare und ineinander greifende Raummodule, in denen Wotan und sein familiärer Anhang sich in schickem Neureichen-Ambiente bewegen, dass in dieser Couch- und Cocktailtisch-Landschaft, in der Wotan gerne in Tennis-Shorts aufkreuzt und Schwager Donner den Golfschläger statt den Hammer schwingt, dem ganzen Geschehen die Fallhöhe abhanden gekommen ist. Was Tragik war, wird zu Unterhaltung, das existenziell Zupackende, es hat sich verflüchtigt.
Aber Oper hat noch andere Seiten. Auf die musikalische war man beim „Rheingold“ nicht weniger neugierig als auf die szenische, hatte doch Cornelius Meister das gesamte „Ring“-Dirigat erst gegen Ende der Proben von Pietari Inkinen übernommen. Meister am Pult des Festspiel-Orchesters verdankt man dann auch die größte Überraschung des ersten Abends: Einen ungemein lichten, dynamisch hoch differenzierten Orchestersatz, der sich vor allem extrem zurücknehmen kann, altgewohnte Motive wie etwa jenes der Riesen einer erfrischenden Überholung unterzieht und obendrein noch manche Kantilene herrlich blühen zu lassen vermag.
Festspiel-gebührende Leistungen der Sängerinnen und Sänger
Profiteure von Meisters Wagner-Transparenz waren nicht zuletzt das Ensemble, dessen Textverständlichkeit erheblich erleichtert wird. Festspiel-gebührend die Leistung der Sängerinnen – vor allem zu nennen Christa Mayer als Fricka, Elisabeth Teige als Freia und Okka von der Damerau als Erda –, gleiches gilt für die Männer mit Daniel Kirch (Loge) und Jens-Erik Aasbø als verliebter Fasolt – nur Arnold Bezuyen beging den alten Fehler, den Mime mehr Töne hervorstoßend als singend zu präsentieren.
Vokal glänzend präsentierte Egils Silins seinen Wotan mit mühelos-kräftigem Bassbariton, auch wenn die Charaktergestaltung da nicht ganz mithalten kann. So blieb die überzeugendste Darbietung Olafur Sigurdarson vorbehalten, der den Schmerz hinter allen Rachegelüsten seines Alberich packend durchschimmern zu lassen vermag.
Spannend also, wie es nach dem „Rheingold“ nun mit der „Walküre“ weitergeht. Hie und da bleibt auf jeden Fall noch etwas Luft nach oben.