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WÜRZBURG
"Sprechstunde" im Spitäle: Sprache jenseits der Worte
Ralph Heringlehner
Ralph Heringlehner
 |  aktualisiert: 03.12.2019 09:18 Uhr

Hermann Hesse war misstrauisch. Ihm, dem Mann des geschriebenen Wortes, war das gesprochene Wort suspekt: „Es wird immer alles gleich ein wenig anders, wenn man es ausspricht, ein wenig verfälscht, ein wenig närrisch“, notierte er. Menschen sprechen praktisch andauernd. Ist es da ein Wunder, dass die Welt ein wenig närrisch ist?

Vielleicht sollte man auch anders fragen: „Rrummpff tillff toooo?“ Ist ein Zitat aus Kurt Schwitters' „Ursonate“ und klingt wirklich närrisch. Aber nur, wenn es geschrieben steht. Wird es vorgetragen, taucht irgendwo hinter den scheinbar unsinnigen Lauten ein Sinn auf . . .

Sprache und sprechen. Geschriebenes und Artikuliertes. Zwei Welten, die nur auf den ersten Blick nahe beieinander liegen. Doch jeder Schauspieler weiß, dass es zwei verschiedene, wenn auch parallele Universen sind. Beispiel „Habe nun, ach . . .“: Soll man den berühmten „Faust“-Monolog resigniert sprechen? Oder so, als bäume der Doktor sich kämpferisch gegen die Grenzen der Erkenntnis auf? Das geschriebene Wort macht im Prinzip beides möglich. Erst wenn Goethes Verse ausgesprochen werden, formt sich Fausts Charakter.

Ein Text ändert sein Gesicht

„Sprechen ist immer eine Interpretation“, sagt Martha Schubert-Schmidt. An sich ist die Gerbrunnerin Architektin und Künstlerin. Doch das Verhältnis von geschriebenem und gesprochenem Wort treibt sie schon länge um. Als Vorstandsmitglied der Vereinigung Kunstschaffender Unterfrankens hat sie die Reihe „Sprechstunde“ mit ins Leben gerufen. Seit 2013 sind nun immer wieder mehr oder weniger prominente Gäste im Spitäle an der Würzburger Alten Mainbrücke zu hören, darunter Bachmann-Preisträgerin Nora Gomringer, Mundart-Virtuose Fitzgerald Kusz und Shakespeare–Übersetzer Frank Günther. „Es sind keine Lesungen“, stellt Schubert-Schmidt klar. „Es geht um die Kunst, das geschriebene Wort lebendig zu machen.“ Es gehe „um Reiz und Vielfalt des gesprochenen Wortes“ Und es gehe auch darum, zu zeigen, dass „ein Text sein Gesicht in dem Moment ändert, in dem er gesprochen wird“.

Eine närrische Idee

Das gilt nicht nur dann, wenn dem gesprochenen Wort ein schriftlicher Text zu Grunde liegt. Es gilt generell. Was unter Freunden ein Witz ist, kann für einen Fremden eine Beleidigung sein.

Im Alltag kümmert sich indes kaum einer um das komplexe Verhältnis von Sprache und Sprechen, um die Kunst des Wortes. Vielleicht ist deswegen die Welt voller Missverständnisse, die in glücklichen Fällen bloß närrisch sind.

„Ich misstraue den Worten. Sie bringen uns um das Beste“, schrieb Hugo von Hofmannsthal. Zeit seines Lebens suchte der Wortmagier nach einer Sprache jenseits der Worte. Vielleicht ist „fümmsböwötääzääUu“ (wieder Schwitters' "Ursonate") etwas in dieser Art. Doch das ist wahrscheinlich bloß eine närrische Idee . . .

Nächste „Sprechstunde“ im Würzburger Spitäle an der Alten Mainbrücke: 20. Oktober, 20 Uhr. Der Schauspieler Hartmut Lange und Alexis Agrafiotis am Klavier widmen sich der Sprache von François Villon.

 
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