Es hätte alles auch ganz anders kommen können. Nichts in seiner Kindheit deutete darauf hin, dass der renitente Sohn italienischstämmiger Eltern je eine internationale Berühmtheit werden würde. Al Pacino wird am 25. April 1940 in Manhattan, New York, geboren. Sein Vater Salvatore, ein Sizilianer aus Corleone, verlässt die Familie, als Al – eigentlich Alfredo James – zwei Jahre alt ist. Weil seine Mutter immer wieder unter Depressionen leidet, kümmern sich die Großeltern, eben aus Sizilien nach New York eingewandert, um den Enkel. Der lernt schon früh die Härten des Lebens in der Bronx kennen und mischt kräftig mit: Bandenkriege, Alkohol, Sex. Bei den Mädchen heißt der hübsche Junge nur „Sonny Pacino Lover Bambino“.
Sonny Pacino könnte Karriere machen unter dem Gesetz der Straße. Doch Al hat einen anderen Traum: Er will Schauspieler werden. Mit seiner Mutter teilt er die Leidenschaft für das Kino; aber Rose warnt ihren Sohn vor den falschen Glücksversprechen der Traumfabrik: Einer wie er ist ein Underdog, und er wird immer ein Underdog bleiben. Als Al mit 17 Jahren von der Schule fliegt, schlägt er alle Warnungen in den Wind und geht auf eine New Yorker Schauspielschule. Das Geld dafür verdient er sich als Kartenabreißer und Platzanweiser.
Im Alter von 25 Jahren wechselt er auf das berühmte Lee Strasberg Theatre and Film Institute, zu dessen Absolventen später so bekannte Namen wie Robert de Niro, Julia Roberts und Peter Greene gehören. Zu Lee Strasbergs Prinzipien des „Method Acting“ scheint Al Pacino perfekt zu passen. Dass Schauspiel die Fähigkeit ist, „absolute Realität auf der Bühne zu erzeugen“, lernt er beim Meister. Und, dass Schauspieler Überlebenskünstler sein müssen, allen Anfeindungen und Niederlagen zum Trotz.
Theater als große Leidenschaft
Lee Strasberg ist es auch, der Pacinos Selbstbewusstsein stärkt und ihn davon abhält, seinen Namen in Sonny Scott zu ändern. Pacino: „Es ist gar nicht so lange her, dass es in Amerika besser war, einen Namen, der die ethnische Herkunft verriet, zu ändern. Man konnte keine Karriere machen, wenn der Name mit einem Vokal endete.“
Nach seinem Abschluss spielt Al Pacino zunächst Theater – nach eigenem Bekunden bis heute seine große Leidenschaft und eigentliche Heimat: „Ich bin immer wieder zurück auf die Bühne gegangen. Denn das Theater hat mich geerdet und gerade in der turbulenten Zeit wahrhaftig bleiben lassen. Bereits für seine ersten Bühnenrollen wird er ausgezeichnet – mit dem Off-Broadway-Preis einer New Yorker Zeitung. Ende der 60er Jahre folgt er dem Ruf Hollywoods und lernt den Regisseur Francis Ford Coppola kennen. Es wird eine schicksalhafte Begegnung.
Fasziniert von der Ausstrahlung und der abgründigen Intensität des jungen Schauspielers aus New York, besetzt ihn Coppola gegen den Widerstand des Autors und der Produzenten in seiner Verfilmung des Mafia-Epos „Der Pate“. In der Rolle des Michael Corleone erlebt Pacino seinen Durchbruch als Charakterdarsteller.
Der Kultstreifen bringt ihm 1973 nicht nur seine erste Oscar-Nominierung ein, sondern wird auch ein Teil des kulturellen Gedächtnisses Amerikas. „Der Pate“ beschwört den Mythos von Patriarchen aus einer Einwanderergeneration, deren rücksichtslose und zerstörerische kriminelle Energie die Geschichte der USA nachhaltig beeinflusst hat. Die Erzeugung „absoluter Realität“ mit einer tiefgründigen, authentischen Darstellung gelingt Pacino auch in Brian de Palmas Streifen „Scarface“ aus dem Jahr 1983. Darin spielt er Tony Montana, einen Ex-Sträfling aus Kuba, der in Miami als Bandenchef und Kokaindealer sein Glück machen will – und an seinem Größenwahn scheitert.
Der Film – ein Abgesang auf den American Dream – ist in vieler Hinsicht schwer auszuhalten: Er ist extrem bunt, extrem laut und extrem blutig. Und die Rolle des Tony Montana ist in ihrer Radikalität wie gemacht für einen Schauspieler wie Al Pacino, der bereit ist, sich kompromisslos auf das Unbewusste und auf die Nachtseite des Menschen einzulassen. Dafür ist er bereit, während der Dreharbeiten auf sein Privatleben zu verzichten und im Hinblick auf andere Menschen regelrecht zu verwildern. „Mein Ego hat einen großen Teil meines Lebens beeinflusst und mir große Vorteile beschert. Doch es hat auch eine dunkle Seite.“ Pacinos wachsender Ruhm lässt sich an seinen „Paten“-Gagen ablesen: 1972 bekam er 35 000 Dollar, für „Der Pate II“ im Jahr 1974 schon 500 000, für den dritten Teil 1990 dann fünf Millionen.
An das, was sich in den 1970er Jahren nach dem beispiellosen Erfolg des „Paten“ abgespielt hat, kann sich Al Pacino heute nicht mehr recht erinnern. Der Ruhm setzte ihm zu; er begann zu trinken. 1977 kehrte er Hollywood den Rücken, legte sich trocken und zog mit seiner damaligen Freundin, der Schauspielerkollegin Diane Keaton, aufs Land – ein selbstverordneter Rückzug, aus dem ihn Keaton mit dem Drehbuch zum Thriller „Sea Of Love“ zurückholte.
Für seine Darstellung des New Yorker Polizisten Frank Keller, der zwischen Liebe und Pflicht hin- und herschwankt, wird Pacino für den Golden Globe nominiert. In der Folge werden seine einfühlsamen Interpretationen schillernder Charaktere immer wieder ausgezeichnet. So erhält er 2003 für die Darstellung des homophoben AIDS-Kranken Roy Cohn in der Fernsehfassung des Theatererfolgs „Angels in America“ zahlreiche Preise. Seinen bisher einzigen Oscar nimmt er, nach insgesamt acht Nominierungen, 1993 für „Der Duft der Frauen“ entgegen.
Schroffe Absagen
Doch Al Pacino wird nicht nur durch eigene Erfolge bekannt. Berüchtigt ist er auch für seine schroffen Absagen gegenüber Rollenangeboten in Filmen, mit denen dann andere berühmt werden: Bruce Willis in „Stirb langsam“, Richard Gere in „Pretty Woman“, Harrison Ford in „Star Wars“. Pacinos Credo: „Wer es mit mir aushalten will, muss akzeptieren, dass ich meine Freiräume brauche.“ Statt seine Zeit mit wenig überzeugenden Drehbüchern zu verschwenden, bringt er lieber eigene Theater- und Filmprojekte voran.
Besonders Shakespeare hat es ihm angetan, der bereits vor 400 Jahren überzeitlich gültige Aussagen zum Zusammenhang von Leben und Schauspielerei machte. 1996 entsteht eine Filmstudie über Shakespeares Königsdrama „Richard III“ mit Al Pacino als Schauspieler, Autor und Produzent in Personalunion; 2010 und 2011 ist Pacino in New York als Shylock im „Kaufmann von Venedig“ wieder auf der Bühne zu sehen. Seine beiden Leidenschaften Film und Theater verbindet der Unermüdliche in einem seiner neuesten Filme: In The Humbling“ – nach einem Roman von Philip Roth – spielt er einen alternden, suizidgefährdeten Theaterschauspieler, der in der Beziehung zu einer jungen Frau scheinbar neuen Lebensmut schöpft.