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BAKU
So stehen Roman Lobs Chancen in Baku
Von unserem Mitarbeiter Erhard Stern
 |  aktualisiert: 25.05.2012 17:36 Uhr

Die Residenz des deutschen Botschafters liegt in einem der nobleren Viertel Bakus – umgeben von hohen Mauern und Zäunen. Dass einige Bäume im Inneren Schatten spenden, ist in der Nachmittagshitze von Aserbaidschans Hauptstadt kein Nachteil. Für Botschafter Herbert Quelle ist der Tag eine angenehme Abwechslung vom Diplomatenalltag. Später wird er sagen, wie sehr er sich über den Besuch der deutschen Delegation des Eurovision Song Contests (ESC) freue. „So oft haben wir ja nicht unseren ,Star für Baku‘ zu Gast.“ Mit anderen Worten: Endlich einmal Leben in der Bude.

Alles gut also? Nicht ganz. Der Star in Baku lässt auf sich warten. Roman Lob hat bereits anstrengende Tage hinter sich – und an diesem Samstag einen aufregenden Auftritt vor sich. Da gilt es, jede Minute zum Entspannen zu nutzen. Schließlich war schon einmal eine Erkältung im Anflug. Oder was bedeutete diese Heiserkeit vergangenes Wochenende?

Der Gegenentwurf

Roman Lob ist so etwas wie der Gegenentwurf der meisten seiner Konkurrenten. Zurückhaltend, still, fast schüchtern wirkt er, wenn er nicht singt. Und selbst auf der Bühne entfachen die zwischen 43 und 76 Jahre alten Buranowskije Babuschki aus Russland mit ihrem „Party for everybody“ mehr Feuer als der 21-Jährige aus dem Westerwald. Textlich liegen die Omas von der Wolga ebenso im Trend wie Nina Zilli aus Italien („L'amore e femmina“, Die Liebe ist eine Frau): boom, boom, boom, lalala, lala. Dritte im Bunde der angeblichen Favoriten ist die 28-jährige schwedisch-marokkanische Sängerin Loreen („Euphoria“). Aber Schweden gehört seit Abba-Zeiten ohnehin jedes Jahr zu den Favoriten. Wohl auch deshalb stammen 16 der 42 ESC-Songs aus der Feder schwedischer Komponisten.

Überhaupt bieten die weitaus meisten Finalisten eine weitaus spektakulärere Show als Deutschland. Das muss nichts heißen. Auch wer sich in der Kristallhalle von der ESC-Standardware abhebt, hat durchaus seine Chancen. Eine Platzierung unter den ersten Zehn hält der Mann hinter Roman Lob, „Unser Star für Baku“-Präsident Thomas D durchaus für machbar.

Doch seinem Schützling fehlt eine Rückmeldung aus dem Halbfinale. Der Beifall nach den Proben kann kaum als Maßstab dienen. Denn die Halle ist fest in deutscher Hand: Techniker der TV-Produktionsfirma „Brainpool“ aus Köln sind wie im vergangenen Jahr in Düsseldorf auch in Aserbaidschan für Bild und Ton verantwortlich. Aus der deutschen Delegation heißt es unisono: Nichts ist vorhersehbar, letztlich entscheiden Jury und Fernsehpublikum.

Das ist eine Binsenweisheit. Wenn es aber doch nichts wird mit dem Sieg oder einer guten Platzierung, sollte sich das Team einmal Gedanken darüber machen, ob es eine gute Idee war, mit einem Lied anzutreten, das so gut wie gar keine Möglichkeiten bietet, sich auf der Bühne zu präsentieren: „Standing still“.

Wie man sich mit einer missglückten Show aller Chancen berauben kann, musste die Niederländerin Joan Franka im Halbfinale erfahren. Jede Wette: Bei einer Radioübertragung hätte die 22-Jährige mit ihrem wunderbaren Folksong „You and me“ locker den Sprung ins Finale geschafft. Warum sie aber mit einem deplatziert wirkenden Indianer-Kopfschmuck auf die Bühne musste, verstand kaum ein Zuschauer. Sie selbst vermutlich auch nicht.

Aus einem anderen Grund wäre es keine Überraschung, wenn es nichts würde mit dem erhofften Top-Ten-Platz für Roman Lob. Lena zum Trotz nimmt Deutschland den Eurovision Song Contest nach wie vor nicht ernst – und beschwert sich hinterher über Europas Abstimmungsverhalten. Was, wenn nicht maßlose Arroganz ist es, wenn Thomas D vor den Halbfinals sagt, er müsse nicht alle 42 Lieder vorab kennen!? „Die Gewinner sehe ich eh noch mal.“

Dagegen sehen vor allem osteuropäische Länder in dem Wettbewerb eine Chance, sich vor 120 Millionen Fernsehzuschauern zu präsentieren und schicken dementsprechend Profis zum ESC: Für Mazedonien tritt mit der 45-jährigen Kaliopi eine Sängerin mit fast 30 Jahren Bühnenerfahrung an. Oder Großbritannien! Man mag Engelbert Humperdinck belächeln. Aber der 76-Jährige wird auf die Bühne gehen und ganz sicher wissen, was er dort tut, wenn er sein „Love will set you free“ schmettert.

Das hat Roman Lob vermutlich nicht einmal in Ansätzen geahnt, als er sich darum bewarb, „Unser Star für Baku“ zu werden. Jetzt ist er in der Hauptstadt Aserbaidschans angekommen und präsentiert unmittelbar vor dem großen Finale mit dem Botschafter am Keyboard seinen ESC-Song. Und eigentlich muss ihm auch vor heute Abend nicht bange sein. Er ist nett, süß und knuddelig: Die großen und kleinen Mädchen Europas werden ganz sicher für das deutsche Bärchen mit den Bambi-Augen anrufen. Britische Buchmacher sehen Lob allerdings nur auf Rang zwölf.

 
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