Bäume fällen und Lesen statt Proben und Auftritte: „Ich lebe von der Erinnerung, aber nicht mit Wehmut, eher vielleicht mit etwas Stolz“, resümiert der langjährige Dresdner Kammersänger Peter Schreier kurz vor seinem 80. Geburtstag (29. Juli). Seit einer Dekade ruht die Tenorstimme – nach Jahrzehnten auf der Bühne, voller Stress und Druck. Vereinzelt gibt Schreier aber noch Meisterkurse. Den Taktstock wird er bald aus der Hand legen und das Dirigieren langsam auslaufen lassen. „Es strengt mich zu sehr an“, sagt der von Rückenproblemen Geplagte, der mit drei Bypässen lebt. „Ich muss Rücksicht nehmen auf meinen Körper.“ Den Abschied auf Raten hat der einst weltweit gefragte Künstler lange geplant.
Im Juni 2000 trat er als Tamino in Mozarts „Zauberflöte“ – seiner vielleicht wichtigsten Partie – in Berlin von der Opernbühne ab. Mit 70 gab er die Lieder und Oratorien auf. „Ich vermisse nichts, habe mich schnell an den Ruhestand gewöhnt.“ Trotzdem ist die Musik präsent. „Musik ist mein Lebenselixier und ein Tag ohne Musik ein verlorener Tag.“ Oft lauscht er den Berliner Philharmonikern: „Ich hab' eine App und kann jedes Konzert im TV sehen.“
Der 1935 in Meißen geborene lyrische Tenor wuchs in einem Dorf in der Nähe auf: „Bei uns zu Hause wurde zweimal pro Woche musiziert“, sein Vater war Kantor und Lehrer. Mit acht Jahren kam Peter Schreier auf dessen Betreiben zum Dresdner Kreuzchor. „Diese Zeit hat mich musikalisch und persönlich geprägt“, sagt Schreier. Dort bekam er das Rüstzeug für den beruflichen Erfolg, lernte Ehrgeiz, Disziplin, Unterordnung und Kameradschaft. „Das ist sehr wichtig, weil man in der Musik ja auch auf andere hören soll.“
Die künstlerischen Möglichkeiten und die sehr gute Ausbildung in der DDR waren Basis einer Laufbahn, „die nur im Weltmaßstab Sinn machte“. Das, was er wollte, war ohne Einschränkungen möglich, sagt Schreier. „Es kam für mich nie infrage, im Westen zu bleiben, obwohl es Angebote gab.“ Der Musiker ist in der Heimat verwurzelt. „Mir würde etwas fehlen, wenn ich nicht in Dresden leben könnte.“ Dort studierte er 1956 bis 1959 Gesang und Dirigieren und stand im Abschlussjahr erstmals auf der Opernbühne – als 1. Gefangener in Beethovens „Fidelio“.
Den Durchbruch schaffte er 1962 als Belmonte in Mozarts „Die Entführung aus dem Serail“. Danach gastierte er von New York bis Mailand auf den wichtigsten Opernbühnen der Welt, wurde international mit Auszeichnungen bedacht. Mehr als 60 Partien hat der Star ohne Star-Allüren verkörpert, war der wichtigste DDR-Exportschlager auf sängerischem Gebiet – er genoss Privilegien und das ohne SED-Parteibuch.
Für eine große Dirigentenkarriere hatte der Vater zweier Söhne keine Ambitionen, obwohl auch in diesem Metier gefragt: Er stand bei den Wiener Philharmonikern ebenso am Pult wie beim New York Philharmonic Orchestra.