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FERNSEHEN
Shakespeare in Mittelerde: "Game of Thrones"
In Serie: In einer Reihe von Artikeln beschäftigen wir uns feuilletonistisch mit alten und neuen Fernsehserien. Heute: „Game of Thrones“ oder Das neue Goldene Zeitalter des Fernsehens.
Von unserem Redaktionsmitglied Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 30.08.2017 18:05 Uhr

Man könnte aus „Game of Thrones“ ein Bildungsquiz der abendländischen Kultur machen. Und nicht nur dieser. Etwa so: Wo finden sich in der Serie Motive aus der Edda, dem Nibelungenlied, dem Beowulf, aus Tristan und Isolde und dem Parsifal? Die Antwort ist einfach: überall. Oder: Wie viel Falstaff beziehungsweise Heinrich VIII. steckt in König Robert Baratheon, wie viel von Shakespeares Heinrich V. in Robb Stark, König des Nordens? Antwort zu Teil eins: sehr viel. Zu Teil zwei: Das muss sich erst noch zeigen, unverkennbare Ansätze aber sind da.

„Game of Thrones“, eine weitere HBO-Serie von allergrößter Qualität, produziert mit unglaublichem Aufwand und großartiger Besetzung, ist ein gigantischer Historienroman, erzählt in atemberaubend schönen und drastisch wahrhaftigen Bildern (bei uns läuft derzeit Staffel 3 auf TNT bei Sky). Er spielt in einer fiktiven Fantasywelt irgendwo zwischen Mittelerde und Tausendundeiner Nacht. Es gibt zwei Kontinente: Westeros, das auf den ersten Blick einem mittelalterlichen Europa ähnelt. Und Essos, das einem Vorderasien nachempfunden sein könnte, durch das Alexander der Große zog. Oder Dschingis Khan.

Westeros besteht aus den vereinten Sieben Königreichen mit einer dekadenten Hauptstadt im Süden, einem Haufen korrupter und machtgieriger Regionalfürsten in allen Himmelsrichtungen und dem Norden, der sich ganz der Sicherung der Grenze verschrieben hat: Jenseits einer gigantischen Mauer, gebaut von den Vorfahren der heutigen Herren des Nordens, haust in einer Welt ewigen Eises etwas unaussprechlich Böses, das sich allmählich zu erheben beginnt.

Essos wiederum ist ein Wüstenkontinent, den Reitervölker wie die Dothraki durchstreifen, für die Mongolen oder Skythen das Vorbild abgegeben haben. In Essos gibt es aber auch sagenhaft reiche Städte. Der wichtigste Unterschied zur Erde – neben der Existenz aller möglicher Arten von Magie und etlichen Fabelwesen – ist die Tatsache, dass die Jahreszeiten Sommer und Winter unberechenbar lange dauern. Eine astronomische Begründung dafür wird nicht geliefert, die Serie steigt ein, als sich ein langer Sommer langsam dem Ende zuneigt. Es kommt also der Winter, und jeder bereitet sich so gut darauf vor, wie eben möglich, wenn einem permanent ein Widersacher ein Messer an die Kehle setzt – im übertragenen wie im wörtlichen Sinne.

Bis zum Tode des genusssüchtigen Königs Robert (Mark Addy) herrscht in den Sieben Königreichen einigermaßen Frieden zwischen den konkurrierenden Adelshäusern. Die beiden alten Kampfgefährten Robert Baratheon und Eddard „Ned“ Stark (Sean Bean), Herr des Nordens, glauben, mit einem Heiratsarrangement zwischen ihren beiden Häusern vorgesorgt zu haben. Das allerdings ebenso wenig aufgeht wie die Heiratspolitik der europäischen Adelshäuser durch die Jahrhunderte.

Auf den stählernen Thron kommt der perfide, sadistische Joffrey (Jack Gleeson), Spross der inzestuösen Verbindung von Roberts Frau Cersei (Lena Headey) und ihrem Bruder Jaime Lannister (Nikolaj Coster-Waldau). Joffreys illegitime Geburt ist ein offenes Geheimnis, der Terror, mit dem er augenblicklich sein Reich überzieht, Startschuss für die Adelsfamilien, sich gegen die Zentralgewalt aufzulehnen.

Da steckt jede Menge europäischer Geschichte drin, das Faszinierende an „Game of Thrones“ aber ist, dass sich die Handlung gleichermaßen von den allgegenwärtigen Anspielungen auf authentische Ereignisse und Personen emanzipiert wie die fiktiven Figuren. Aus den ebenso schamlosen wie virtuosen Anleihen bei Shakespeares Königsdramen, antiker wie nordischer Mythen und arabischer Fabulierkunst entstehen neue Dramen von ganz eigener Größe und Tragik.

Der große Sean Bean spielt den Ned Stark als einen Fürsten, dem die Last von Loyalität und Integrität längst tiefe Furchen ins Gesicht geschnitten hat. Er regiert nach dem Grundsatz, dass der, der ein Urteil fällt, es auch vollstrecken muss, und ist damit der Gegenentwurf zu allen Despoten und Schreibtischtätern von Herodes bis Eichmann. Derlei natürliche Autorität muss für jeden Herrscher eine existenzielle Bedrohung darstellen. Weswegen Eddard Stark – leider – Staffel eins nicht überlebt. Sein Tod allerdings macht die Bühne frei für eine Flut faszinierender Gestalten. Den kleinwüchsigen, hochintelligenten Tyrion „Gnom“ Lannister, den Peter Dinklage, seit Staffel zwei bestbezahlter Darsteller der Serie, mit unwiderstehlichem Witz spielt. Oder Nedd Starks unehelichen, ziemlich naiven Sohn Jon Schnee, der sich den Schrecken des Nordens stellt. Oder Daenerys Targaryen (Emilia Clarke), die „Mutter der Drachen“, die aus der kurzen, überraschend glücklichen Ehe mit dem Dothraki-Fürsten Khal Drogo als Herrscherin in Wartestellung hervorgeht. Oder Catelyn „Cat“ Stark (Michelle Fairley), Neds Witwe, die in ein hochspannendes Konkurrenzverhältnis zu ihrem Sohn Robb (Richard Madden) tritt.

Kevin Spacey hat jüngst im „Guardian“ ein neues Goldenes Zeitalter des Fernsehens ausgerufen. Als einen der Belege dafür hat er „Game of Thrones“ genannt. Und bekanntlich hat Kevin Spacey immer Recht.

 
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