Register ziehen. Das ist hier wörtlich zu nehmen: Der Organist muss den hölzernen Griff mit Kraft nach unten ziehen. Die Orgel in der Gaibacher Heiligkreuzkapelle vermittelt ein Gefühl, das nur gute Mechanik vermittelt. Im Zeitalter des gefühlsneutralen Wischens über Bildschirme ist das ein Erlebnis. Und auch wenn der Spieler Tasten drückt, ist es da. Dieses Gefühl, Teil eines physischen Vorgangs zu sein. Zu spüren, wie sich Hebel bewegen, Ventile öffnen, wie der Luftdruck den Fingern Widerstand entgegensetzt, in die Pfeifen fährt und Töne erzeugt. Und was für Töne!
Gregor Frede lässt barocke Läufe und Arpeggien sausen. „Die Orgel sprüht vor Begeisterung und Lebensfreude“, ruft er über den erstaunlich kräftigen und brillanten Ton hinweg. Wer den Diözesanmusikdirektor am Spieltisch beobachtet, merkt: Begeisterung und Lebensfreude übertragen sich ziemlich ungedämpft vom Instrument auf den Spieler – und auf den Zuhörer. Frede klopft inzwischen fröhlich Jazzmotive in die Tastatur: „Sogar das klingt gut!“
Dabei ist das Instrument über 300 Jahre alt. Einige Teile sind sogar älter. Offenbar hat Orgelbauer Adam Philipp Schleich seinerzeit Gebrauchtteile eingesetzt. Die Orgel der kleinen Rundkirche bei dem Volkacher Ortsteil ist eine der ältesten in Unterfranken.
In den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts wäre es mit der Lebensfreude um ein Haar vorbei gewesen. Das 1699 von dem Bamberger Hoforgelmacher gebaute Instrument – die Jahreszahl findet sich in einem der Bälge – sollte entsorgt werden. Aus gutem Grund: „Die Orgel war wahrscheinlich um 1850 zum letzten Mal gespielt worden“, sagt Frede und erinnert sich: Die Pfeifen lagen kreuz und quer. Das Gehäuse war voll Erde und Fledermausgebeinen. Dass da ein Kleinod auf der Empore saß – „man konnte es nicht mehr erkennen“.
Doch als sich Experten eingehender mit der mutmaßlichen Ruine beschäftigten, zeigte sich, dass vieles noch zu retten war. Also arbeitete die Hardheimer Orgelbaufirma Vleugels 1988 das Instrument auf, restaurierte und ersetzte im Stil der Zeit um 1700. Mit dem Erfolg, dass, was da heute pfeift und trillert und auch vernehmlich knackt – Lebensäußerungen der Mechanik – zu 80 Prozent noch altes Material sei, erklärt Frede.
So zeigt der Blick durch eine ovale Öffnung im Rücken des Spielers hölzerne Pfeifen, die in vergangenen Jahrhunderten mit Papier abgedichtet wurden, auf dem noch Choralnoten zu lesen sind. Links und rechts von der Tastatur blicken Fratzenköpfe mit geöffneten Mündern gen Himmel. Fratzen wurden auch um die tonerzeugenden Schlitze der Prospektpfeifen gemalt – als würden sie die Töne singen. „In solchen Details ist noch der Geist der ausgehenden Renaissance greifbar“, so Gregor Frede.
Die Tasten sind schmäler als bei einem modernen Instrument. Gregor Frede kann mit Daumen und kleinem Finger einer Hand den Raum einer Oktave plus einer Quinte überspannen – drei bis vier Töne mehr als bei einer modernen Tastatur. Bei der untersten Oktave wurden auf die Tasten der Halbtöne Ganztöne gelegt. Halbtöne fehlen hier. Das sparte damals Baukosten – Zinn für die Pfeifen war teuer –, ist aber heute für unbedarfte Organisten einigermaßen verwirrend.
Gregor Frede ist den Umgang mit historischem Material, mit schmalen Tasten und sogenannten kurzen Oktaven gewohnt und freut sich sogar über derlei Eigenheiten der Schleich-Orgel. Die verströmen nicht nur historischen Charme. Sie haben auch spieltechnisch Vorteile: Wer's kann, könne da „Dinge greifen, die man nicht für möglich hält“, sagt Frede.
Faltenbälge liefern „geschöpften Wind“
Rechter Hand vom Spieltisch baumeln drei Seile herab. Sie betätigen die Faltenbälge, die den Wind für die Pfeifen liefern. Wer hier zieht, um auch nur für eine kleine Bach-Fuge Luftdruck zu liefern, kann sich den Besuch im Fitnessstudio sparen. Seit der Restaurierung werden die Bälge auf Wunsch per Knopfdruck von einem Gebläse befüllt. Auch dann liefert also die Balganlage den Luftdruck – „geschöpften Wind“, nennt Frede das. Das sorge für einen sanfteren Klang als wenn das Gebläse direkt Luft in die Pfeifen drückte
Wieder lässt Gregor Frede Finger und Füße auf Manual und Pedal spielen: „Klingt wie eine kleine Domorgel.“ Dabei hat die Orgel in der Gaibacher Kreuzkapelle gerade mal sechs Register – die im Würzburger Kiliansdom hat über hundert. Doch das sind bloß Zahlen. Unwichtig eigentlich, denn: Die Orgel in der Kreuzkapelle hat nicht nur „eine gute Lunge“ (Frede). Sie hat auch eine große Persönlichkeit.
Heiligkreuzkapelle Gaibach
Erbaut wurde die an der Straße von Gaibach nach Kolitzheim gelegene Kapelle in den Jahren 1697 bis 1700. Der Legende nach hatte Erzbischof Lothar Franz von Schönborn nach Errettung aus Lebensgefahr ihren Bau gelobt.
Das Kirchlein ist ein äußerlich schlichter, überkuppelter Zylinder. Ein Dachreiter an der Nordseite beherbergt das Glockengestühl. Im Inneren eröffnet sich dem Betrachter ein barocker Zentralraum. Mit einem überraschend großzügigen Raumgefühl.
Die Ausstattung kam unmittelbar nach der Erbauung in die Kapelle. Sie zeigt den Reichtum des Stifters, der sich mit seinem Wappen mehrmals in der kleinen Kapelle hat verewigen lassen.
Zugänglich ist das Kirchlein nur bei den (seltenen) Gottesdiensten. hele