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BERLIN
Sein und Schein der Literaturszene
dpa
 |  aktualisiert: 07.01.2016 14:55 Uhr

Wer kennt sie nicht, die Bücher, die alljährlich von mehr oder weniger renommierten Gremien ausgewählt werden? Wenn eine Jury entscheidet, dass eine Geschichte eine solche Ehrung verdient, ist für die Autoren und Verlage das große Geschäft fast sicher. Der Brite Edward St. Aubyn, Jahrgang 1960, war für den Man Booker Preis nominiert. Er bekam die prestigeträchtige Ehrung zwar nicht, war aber offenbar so inspiriert, dass er eine Satire auf den Auszeichnungsrummel schrieb.

Wieder einmal soll eine Jury den besten Roman des Jahres finden. Gestiftet wurde der Preis von einem höchst zweifelhaften Konzern, der so von seinem katastrophalen Wirken in der Agrarchemie ablenken will. Die Jury besteht aus fünf Teilnehmern, von denen bald klar wird, dass vier keine Ahnung von Literatur haben.

Die anderen Juroren bekamen ihre Posten durch Beziehungen. Die Ansicht des Jury-Vorsitzenden ist beispielhaft für ihr Unwissen: „Schließlich waren junge Schriftsteller die Zukunft, zumindest würden sie die Zukunft sein – wenn es sie dann noch gäbe und sie publiziert würden. Mit der Zukunft lag man immer richtig.“ Interesse oder Verständnis für Literatur haben sie nicht, entsprechend sieht das Auswahlverfahren aus, das St. Aubyn mit Ironie und Ablehnung darstellt. Allerdings sind auch die zur Auswahl stehenden Romane alles andere als empfehlenswert. Billige Agentenstorys, klischeehafter Sozialrealismus und Plattitüden über Plattitüden – Lesenswertes scheint es kaum noch zu geben.

Aber auch die Schriftsteller kommen schlecht weg im Roman. Kunst interessiert sie nicht. Ihnen geht es fast ausschließlich um Geld, Sex und ihre persönlichen Vorlieben. Als besonders skurriles Beispiel eines abgehobenen Autors hat sich St. Aubyn die Figur eines indischen Adligen ausgedacht, der auf 2000 Seiten seine persönliche Weltsicht ausbreitet. Dabei ist er aber vielleicht noch kreativer als Kandidaten, die ihre Werke mit der Hilfe von Textprogrammen schreiben.

Das Buch, das schließlich den Preis gewinnt, ist eine große Überraschung. Aber trotzdem schaffen es die beteiligten Kritiker, die Entscheidung mit den Floskeln der Literaturkritik zu rechtfertigen und die ganze absurde Entwicklung zu adeln, die in einer angemessen absurden Zeremonie gipfelt. „Der beste Roman des Jahres“ ist sicherlich nicht der beste Roman des Jahres, aber ein intellektuelles Spiel mit dem Sein und Scheinen des modernen Literaturbetriebs.

Edward St. Aubyn: Der beste Roman des Jahres (Piper, 253 Seiten, 16,99 Euro)

 
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