Fitzek hat was zu erzählen. Das zeigt der Thriller-Autor im Interview, das will er auch bei seinen Lesungen zeigen. Wobei sein Auftritt in Würzburg alles andere als eine herkömmliche Lesung sein wird. Sebastian Fitzek kommt am 9. November – laut seiner Homepage – mit einer Multimedia-Show inklusive Band in die Posthalle. Angst vor Spoilern müsse da keiner haben, versichert der Autor. Denn natürlich würden Lösungen seiner Krimis nicht verraten.
Sebastian Fitzek: Als Thriller-Autor muss ich die Realität meistens sogar abmildern, damit sie glaubhaft ist. Denn unsere Wirklichkeit ist oftmals skurriler, grausamer, aber auch sehr viel unwahrscheinlicher als das, was ein Leser dem Autor abkauft. Ein Beispiel: Hätte ich vor fünf Jahren geschrieben, dass ein Flugzeug spurlos verschwindet, hätte jeder gesagt, das sei an den Haaren herbeigezogen, mit dem Argument: „Man erkennt mit moderner Technik ein Autonummernschild aus dem Weltall – wie soll da ein ganzes Flugzeug verschwinden?“ Michael Tsokos, Leiter der Rechtsmedizin an der Berliner Charité, ist ein guter Freund von mir. Der weiß Geschichten aus seiner Praxis am Seziertisch zu erzählen, bei denen sich selbst gestandene Thriller-Autoren die Ohren zuhalten.
Fitzek: Hundertprozentig. Nur der Zeitfaktor ist im Roman ein anderer. Um Spannung zu erzeugen, wird die Zeit verdichtet. Die einzelnen seelischen oder physischen Schicksalsschläge folgen also schneller aufeinander als in der Realität. Dort aber sind sie in der Regel heftiger und grausamer als im Roman.
Fitzek: Ein Buch wird sehr viel kritischer gelesen als beispielsweise eine Zeitung. Wenn ich in der Zeitung eine Meldung über einen Flugzeugabsturz sehe, dann glaube ich das zunächst einmal. Wenn ich etwas in der Richtung in einem Buch lese, stelle ich Fragen an den Autor und gebe mich nicht mit der Antwort „das war Zufall“ zufrieden. Ich will Begründungen, Motive. Ich brauche Nachvollziehbarkeit. Aber das, was wir als nachvollziehbar empfinden, entspricht eben häufig nicht den wahren Fakten.
Fitzek: Durch das Bild, das Filme und Thriller vermitteln, gehen wir davon aus, dass Serientäter ein Motiv haben. Wir haben Hannibal Lecter vor Augen, diesen hochintelligenten Psychopathen, der seine Handlungen bewusst steuert. In der Regel aber sind die meisten Gewaltverbrechen stumpfe, unmotivierte Taten. In einem Interview mit dem FBI hat einmal ein Serienmörder auf die Frage, warum er denn gerade diese eine Familie abgeschlachtet habe, geantwortet: „Die waren halt zu Hause.“ Der Leser eines Thrillers würde das nicht akzeptieren. Ich bin ja auch Leser. Und ich lese, weil ich das Böse verstehen will. Das ist auch ein Grund, warum ich schreibe. Eine Antwort wie „die waren halt zu Hause“ macht mir Angst, weil sie eben nicht dazu beiträgt, dass ich das Böse begreifen kann.
Fitzek: Ich habe kein pessimistisches Bild von den Menschen, sondern ein statistisches. Es gibt mittlerweile über sieben Milliarden Menschen. Wenn nur ein Promille davon psychopathische Veranlagungen hat und zum Serientäter wird, Menschen entführt und foltert, oder zum Terroristen wird, dann bringt dieses eine Promille – mehr als sieben Millionen! – genug Böses in die Welt. Dass wir uns mehr und unerklärlichen Gewalttaten gegenübersehen, liegt auch daran, dass wir immer mehr werden – und diese vielen Menschen werden immer vernetzter.
Fitzek: Wie jede Entwicklung hat auch diese zwei Seiten. Die Erfindung des Sprengstoffs zum Beispiel hat Fortschritte im Bergbau ermöglicht, aber auch für sehr viel Leid gesorgt. Bei der Gentechnik sind wir uns noch nicht so sicher, ob wir mehr Vorteile als Nachteile daraus ziehen. Wenn, wie in meinem Buch, aus vielen Daten das Profil eines Menschen erstellt wird, damit man dessen Verhalten vorhersehen kann, kann das positive Folgen haben, weil dadurch Verbrechen verhindert werden.
Es kann aber auch negative Folgen haben, weil wir dadurch gläsern sind. Ich mache mir allerdings mehr Sorgen, wenn die großen, privaten Datensammler dieser Welt anfangen Schindluder zu treiben, da sich Google zum Beispiel nicht so einer öffentlichen Kontrolle ausgesetzt sieht wie staatliche Institutionen.
Fitzek: Ich schreibe generell nicht mit erhobenem Zeigefinger und ich habe auch keine Lösung im Gepäck. Aber dieses Gefühl der Ohnmacht, das Sie beschreiben, reizt mich, mich an den Schreibtisch zu setzen, das Problem aufzugreifen und es zu verarbeiten. Das Einzige, was Unterhaltungsliteratur bewirken kann – neben der Tatsache, dass sie hoffentlich unterhält – ist es, Fragen aufzuwerfen und die Leser für ein Thema zu sensibilisieren. Ich gehöre selbst zu denen, die früher gesagt haben: „Ich hab' ja nichts zu verbergen.“ Bis mir klar wurde, dass es so einfach nicht ist, dass man sich damit auseinandersetzen muss. Einer Gefahr muss man sich ja zunächst erst bewusst werden.
Fitzek: Ich bin auch kein Vorbild, ich habe keine Antworten parat. Ich glaube aber, dass genau hier das Problem unserer überkommunizierten Welt liegt: Die Leute sehnen sich nach einfachen Antworten – die es nicht gibt. Unsere Welt ist komplex. Wir können nicht schwarz oder weiß sagen, ja oder nein. Wir gehen davon aus, dass wir vielen Bedrohungen ausgesetzt sind – manche real, manche auch überzogen dargestellt von den Medien. Wir sind einfach müde, uns mit allem auseinanderzusetzen. Mit dem Euro, mit der Flüchtlingsproblematik, mit Terrorismus, Kriegen, Energiekrise. Es ist ganz logisch, dass die Menschen entweder politisch völlig desinteressiert werden, weil sie glauben, „ich steig' da eh nicht durch“. Oder sie sagen: „Meine Stimme kriegt der, der mir eine ganz simple Antwort gibt.“ Darauf beruht der Erfolg von Donald Trump bei den Vorwahlen zum US-Präsidenten. Aber einfache Antworten gibt es eben leider nicht.
Fitzek: Richtig. Aber die Medien – und auch wir Thriller-Autoren – stürzen uns natürlich auf die Ausnahmefälle. Wir berichten über den einen Autounfall, bei dem tragischerweise eine Familie ums Leben kam. Wir schreiben nicht, dass heute Morgen wieder sechs Millionen Menschen pünktlich und gesund zur Arbeit gekommen sind. Wir sind aufgrund unserer Evolution auf Ausnahmen programmiert. Wir müssen diese Ausnahmen wahrnehmen, weil sie unsere Existenz bedrohen. Deswegen reagieren wir auf solche Schlüsselreize wie „Flugzeugabsturz“ oder „Baby ertrunken“. Der Harvard-Professor Steven Pinker hat schon vor Jahren geschrieben, dass wir noch nie in einem so sicheren Zeitalter gelebt haben wie jetzt. Statistisch gesehen war die Wahrscheinlichkeit, Opfer eines Gewaltverbrechens zu werden, zu Zeiten der Neandertaler sehr viel höher. Gleichwohl kommt uns die heutige Zeit wahnsinnig gewalttätig vor. Das liegt auch daran, dass wir in einer, wie ich vorhin schon sagte, überkommunizierten Welt leben. Es gibt ja nicht nur mehr Medien durch das Internet.
Es ist ja jeder mit seinem Facebook-Account sein eigenes Medium geworden. Und der, der am lautesten brüllt, wird am ehesten wahrgenommen. In der Regel ist das derjenige, der die Schlüsselreize bedient.
Sebastian Fitzek
Der gebürtige Berliner (Jahrgang 1971) gilt als einer der erfolgreichsten deutschsprachigen Thriller-Autoren. Sebastian Fitzeks Romane erreichen eine Gesamtauflage von 6 Millionen. Sie wurden in mehr als 20 Sprachen übersetzt.
Sein erster Psychothriller erschien vor zehn Jahren. Zuvor studierte Fitzek Jura, promovierte in Urheberrecht und arbeitete für Rundfunkstationen. 2015 erschien „Das Joshua-Profil“. Darin gerät der Schriftsteller Max Rhode aufgrund seines Internet-Datenprofils in den
Verdacht, er werde demnächst ein schweres Verbrechen begehen. Während der Arbeit am „Joshua-Profil“ habe sich die Figur des Max Rhode so sehr verselbstständigt, erzählt Fitzek, dass er unter dem Pseudonym Max Rhode einen Roman schrieb. Den Rhode-Roman „Die Blutschule“, der im „Joshua-Profil“ eine Rolle spielt, gibt es also tatsächlich. Sebastian Fitzek hat damit eine ungewöhnliche Verschränkung zwischen Fiktion und Realität geschaffen. hele