Robert Langdon ist einer „bahnbrechenden Erkenntnis“ auf der Spur. Die könne „Relevanz für Millionen Gläubige auf diesem Planeten haben“, wirbt der Klappentext zu Dan Browns Roman „Origin“, der unter vielen Weihnachtsbäumen lag. Der Titel – auf Deutsch „Ursprung“ – weist die Richtung: In seiner fünften Geschichte um den Symbolologen Langdon kontrastiert der US-Bestsellerautor Evolutionstheorie und Schöpfungsglaube. Nicht eben eine bahnbrechende Idee. Wissenschaft und Religion wurden schon häufig gegeneinander ausgespielt. Zu Recht?
In den USA sind die Anhänger des Kreationismus in der Gesellschaft verankert. Evangelikale, die die Bibel wortwörtlich nehmen, verfügen in den Vereinigten Staaten über politischen Einfluss. In einigen US-Schulen steht Kreationismus auf den Lehrplänen – quasi als alternativer Fakt zur Evolution. Auch in Europa ist der Kreationismus „auf dem Vormarsch“ – so sah es jedenfalls vor Jahresfrist das Fachmagazin „Spektrum der Wissenschaft“.
Zwei Schöpfungsgeschichten in der Bibel
Im Kern glauben Kreationisten, dass die Welt so entstanden ist, wie es am Beginn des Alten Testaments beschrieben ist. Eine Umfrage in den USA ergab 2005, dass 42 Prozent davon ausgingen, die Lebewesen würden „seit Anbeginn der Zeit in ihrer heutigen Form existieren“. Dieser „Anbeginn“ wird gern auf etwa 6000 Jahre vor unserer Zeit datiert.
Allerdings: Wer die ersten beiden Kapitel des Buchs Genesis aufmerksam liest, bemerkt, „dass da zwei Schöpfungserzählungen stehen“, sagt Otmar Meuffels.
„Die zweite Urgeschichte beginnt im zweiten Kapitel bei Vers 4 b. Sie ist die ältere“, so der Professor für Dogmatik an der Universität Würzburg. Der Text fängt an mit „zur Zeit, als Gott, der Herr, Erde und Himmel machte“. In seinem Grundbestand könne er auf das 10. Jahrhundert vor Christus datiert werden. Verfasser sei nicht ein Einzelner, sondern eine Autorenschule gewesen, die von Theologen „Jahwist“ genannt wird. Der Text sei unter dem Eindruck verschiedener Schöpfungserzählungen aus Nachbarländern wie Ägypten geschrieben, „um aufgrund eigener Glaubenserfahrungen Gott als Schöpfer mit mythologischen Bildern vorzustellen“, so Meuffels.
„Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde“: So beginnt die jüngere Urgeschichte (Genesis 1,1, bis 2,4a). Diese Erzählung sei in der Zeit des babylonischen Exils in Priesterkreisen entstanden, erklärt der Professor, also nach der Zerstörung Jerusalems im Jahr 586 vor Christus. Den Gläubigen in der Fremde sollte ihr Gott als handelnder Schöpfer erfahrbar gemacht werden.
Die Sicht des Wissenschaftlers
Beide Erzählungen transportieren unterschiedliche Gottesbilder und Glaubenserfahrungen, kritisch angepasst an die jeweiligen Lebensumstände des Volkes Israel.
Kreationisten müssten also schon beim Bibelstudium straucheln: Es sind zwei Bildwelten, die sich nicht miteinander harmonisieren lassen. Von der naturwissenschaftlichen Seite her gibt es ohnehin kaum Zweifel: Seit der Veröffentlichung von „Über die Entstehung der Arten“ Anno 1859 sind die Erkenntnisse von Charles Darwin immer wieder bestätigt worden.
Der Wissenschaftautor Lars Jaeger widmet sich in seinem klugen Blog ausführlich Dan Browns „Origin“ und den wissenschaftlichen Hintergründen (aber Vorsicht, er verrät die Lösung!). Die Auffassung, dass „der Mensch und alle Tiere und Pflanzen irgendwann einmal in ihrer heutigen Form durch eine wie auch immer geartete externe Intelligenz geschaffen wurden“, könne „heute kein informierter Mensch mehr ernsthaft vertreten“, schreibt der promovierte Physiker und resümiert die gültige Sicht der Wissenschaft: „Alle Lebewesen auf der Erde sind das Ergebnis einer Evolution, die ihren Ursprung vor ca. 3,5 Milliarden Jahren hatte.“
Was soll der Gläubige denken?
Was soll nun der Gläubige denken? Steht Bibel gegen Wissenschaft? „Die Evolutionstheorie steht nicht im Widerspruch zu unserem jüdisch-christlichen Schöpfungsglauben“, beruhigt Theologe Meuffels. „Gläubige gehen davon aus, dass die Welt in Gottes Liebe im Anfang geschaffen wurde, aber zugleich diese Schöpfung in Freiheit mit eigenen Prozessen von Gott dauerhaft getragen wird (Evolution).“
Die beiden Urgeschichten seien keine naturwissenschaftlichen Aussagen, so der Theologe. Vielmehr werde die Welt in einer Glaubensperspektive gedeutet – in Bildern. Auch das theologische Standardwerk „Der Glaube der Kirche“ betont, die Schöpfungserzählungen seien „nicht historische Berichterstattung im modernen Sinn“.
„Die Welt“, so der Würzburger Dogmatik-Professor, „ist ein Raum von Möglichkeiten“, in dem auch der Zufall Platz finde. Eine Schöpfung „in Freiheit, Potenz und Möglichkeiten“ entspreche der Entwicklung der Arten a la Darwin, die auch der Biologe und Nobelpreisträger Jacques Monod als Abfolge von Zufall und Notwendigkeit beschrieb.
„In dem Verhältnis von Glaubensperspektive und naturwissenschaftlichen Aussagen eröffnen sich viele Dialogfenster“, so Otmar Meuffels. Die beiden unterschiedlichen Schöpfungsberichte würden betonen, „dass die Welt nicht im Nichts gründet, sondern in Gottes Liebeshandeln, der diese Welt stets trägt und am Ende unserer Zeit auch vollendet“.
Dass sich Glaube und Evolution nicht ausschließen müssen, ist also in der realen Welt ein Fakt. In Dan Browns fiktiver Welt wird daraus ein leidlich unterhaltsamer Thriller. Und was ganz am Anfang stand, noch vor der Evolution, noch vor dem Urknall, kann ohnehin niemand sagen. Auch kein Wissenschaftler Das lässt sich höchstens in mythischen Bildern fassen.