Als hätte er einen Blick hinter die Alltagsoberfläche der Dinge werfen können. Die Welt in den Bildern von Wolfgang Lenz tut zwar so, als wäre sie den Betrachtern vertraut – jedenfalls in ihren Einzelheiten. Doch der Maler stellte sie so zusammen, dass beim Betrachter Verunsicherung entsteht, manchmal auch Schmunzeln. Immer aber regen die Bilder des Würzburgers zum Nachdenken über scheinbar Selbstverständliches an. Am 1. Januar ist Lenz, ein herausragender Vertreter des Fantastischen Malerei, im Alter von 88 Jahren gestorben. Dies teilte seine Familie mit.
„Es gibt ja so viele Möglichkeiten“, sagte Lenz einmal. Das, was der Künstler in gemalten Universen neu anordnete, hatte er in unserer Welt – häufig auf Reisen – entdeckt. Jedes Detail wurde, bevor es in einem großen Staffelei- oder Wandbild einen neuen Sinn erhielt, vor Ort gezeichnet. Wolfgang Lenz war ein unglaublich akribischer Arbeiter, der jede Kleinigkeit nachempfand – mit geradezu altmeisterlicher Kunstfertigkeit. Doch nur, weil alles realistisch, manchmal wie fotografiert, wirkt, entfalten die gemalten Parallelwelten ihre Wirkung auf den Betrachter.
Wolfgang Lenz fand auf ureigenen Wegen zu seinen Bilderwelten. Was der am 17. März 1925 in Würzburg geborene Künstler malte oder zeichnete, schien direkt aus seinem Inneren zu kommen. Eine frei schweifende, vielleicht manchmal träumende Seele ging Hand in Hand mit dem Wissen um Mythen, das er sich nicht zuletzt in der Würzburger Residenz erwarb, wo er in Stil und Geisteshaltung des Rokoko eine Kopie des im Krieg zerstörten Spiegelkabinetts schuf.
Kulturpreisträger der Stadt
Der Würzburger Kulturpreisträger arbeitete weit über seine Heimat- und Geburtsstadt hinaus – für die er den Ratssaal mit Wandmalereien versah. So gestaltete er das Restaurant des Münchner Prinzregententheaters und in Berlin die Vertretung der Bayerischen Landesregierung. Bühnenbild- und Kostümentwürfe – unter anderem für das Würzburger Mozartfest – sowie Bilder für verschiedene Kirchen zeugen von der Vielseitigkeit und dem Renommee des Künstlers. Ein Aufenthalt als Ehrengast in der Villa Massimo 1992 vertiefte die Liebe des Unterfranken zu Rom, das er schon während seines Studiums in den 1950er Jahren – unter anderem an der Akademie der Bildenden Künste in München – kennengelernt hatte.
Eines der bekanntesten und vielleicht wirkungsvollsten Werke von Wolfgang Lenz ist der „Würzburger Totentanz“. Die Fantasie des Malers deutete die Heiligenfiguren auf der Würzburger Alten Mainbrücke zu Skeletten um. Das 1970 entstandene Bild ist eine plakative Anklage gegen den Wahnsinn des Krieges. Doch so eindeutig ist Lenz nie. Wollte es auch gar nicht sein. Wie bei den meisten seiner fantastischen Bilder gibt es auch hier mehr zu sehen, mehr zu deuten, mehr zu denken. Auch hier gibt es eben im Lenz'schen Sinne „so viele Möglichkeiten“.
Der Franz-Kafka-Preis, der Lenz 2005 für sein Lebenswerk vom Europäischen Franz-Kafka-Kreis verliehen wurde, passt da ins Bild. Ähnlichkeiten im Denken des Prager Literaten und des Würzburger Künstlers lassen sich problemlos finden. Lenz' Bilder lehren den wachen Betrachter auch Demut. Denn er erkennt, dass so viel mehr existiert, als er auf den ersten Blick erkennen kann.
2011 präsentierte das Würzburger Siebold-Museum eine große Lenz-Ausstellung. Die hieß „Lenz hoch 3“ und zeigte nicht nur Werke von Wolfgang Lenz, sondern präsentierte die ganze Künstlerfamilie. Denn sowohl Ehefrau Hella als auch Tochter Barbara sind künstlerisch tätig. Jeder aus dem Trio hat seinen eigenen Stil gefunden. Gemeinsam ist der Künstlerfamilie jedoch ein gewisser Hang zum Fantastischen. Den verrät auch schon die Fassadengestaltung des Hauses der Familie.