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Schönste Frau der Welt: Die Sixtinische Madonna
Sixtinische Madonna: Das Bild ist der Star der Gemäldegalerie Alter Meister am Dresdner Zwinger, und die Engel sind Kult. Doch Raffaels Meisterwerk, das vor 500 Jahren entstand, hat noch mehr zu bieten.
Von unserem Redaktionsmitglied Ralph Heringlehner
 |  aktualisiert: 25.05.2012 16:33 Uhr

Vergessen Sie die Engelchen. Raffael selbst hat auch erst später an die geflügelten Bengel am unteren Bildrand gedacht. Richten Sie den Blick gut zweieinhalb Meter nach oben: auf die Vorhangstange. Das dünne Ding biegt sich unter dem Gewicht der grünen Samtvorhänge, als wolle es gleich zerbrechen. Natürlich: Das berühmte Bild in der Gemäldegalerie Alter Meister am Dresdner Zwinger heißt „Die Sixtinische Madonna“, und im Zentrum steht diese wunderschöne Frau mit den dunklen, mandelförmigen Augen. Die Vorhangstange ist trotzdem wichtig. Sie ist eines jener Details, die das Bild von Raffaello Santi, genannt Raffael (1483 bis 1520), zu einem der wichtigsten Werke der Renaissance machen, zum Gemälde, das seit gut zwei Jahrhunderten die Seelen berührt. „Thränen lockt mir dein Bild ins Auge“, schwärmte der Literat Friedrich Hebbel und sprach vor lauter Rührung die Gottesmutter persönlich an. Dass das Bild über die Jahrhunderte zu dem wurde, was man heute Kult nennt – die beiden Engelchen am unteren Bildrand sind daran nicht unschuldig. Aber die kommen später dran.

Die Vorhangstange gehört zur diesseitigen Welt, in der nichts gerade und alles zerbrechlich ist. Das Stäbchen mitsamt den daran an Ringen aufgehängten Vorhängen ist Teil der Wirklichkeit des Betrachters. Dahinter öffnet sich der Blick in den Himmel, der anscheinend voller Schäfchenwolken hängt. Doch wer näher an das 2,69 mal 2,01 Meter große Bild tritt, erkennt, dass die Wolken Engelsgesichter sind, die hinter dem Vorhang hervorspitzen. Vielleicht ein bisschen neugierig auf die Welt der Sterblichen. Vielleicht ein bisschen besorgt über die Muttergottes. Denn die ist drauf und dran, mit ihrem Baby aus der himmlischen Sphäre hinauszulaufen. Nur ein, zwei Schritte noch, dann wird sie mitten unter den Menschen sein. Der frühe Christenpapst Sixtus II., Namensgeber des Bildes, scheint ihr mit der ausgestreckten Rechten den Weg zu weisen. Zusammen mit der heiligen Barbara am rechen Bildrand hat Raffael eine symmetrische Dreiecks-Komposition geschaffen. Durchaus üblich bei Marienbildern. Unüblich, auch innerhalb des Werkes von Raffael, ist die vorwärtsschreitende Muttergottes.

Und wie die Figuren aussehen! Der italienische Meister hat keine entrückte, überhöhte Madonna gemalt. Unendlich traurig blickt sie in die Welt hinaus. Röntgenaufnahmen würden zeigen, dass Raffael die Augen, abweichend von der Vorzeichnung, ein bis zwei Zentimeter nach oben setzte, so die Dresdner Kunsthistorikerin Miriam Bothe. Das Madonnengesicht wird dadurch ernster und weniger kindlich. Die Schönheit scheint von innen heraus zu strahlen – einen Heiligenschein braucht's da gar nicht. Raffael zeigt eine junge Frau, die sich der Welt zuwenden kann, weil sie selbst Mensch ist. Auch das Kind, das sie im Arm trägt, blickt bekümmert in die Welt. Und der Papst ist kein idealisierter Kirchenführer, sondern ein alter Mann mit zerzaustem Bart, der seine Tiara im Vordergrund abgesetzt hat. Die Kunst der Renaissance ist auch die Kunst, Menschen individuelle Züge zu verleihen und sie dadurch lebendig wirken zu lassen.

In Dresden ist „Die schönste Frau der Welt“ (Dresden-Werbung) seit 1754 zu Hause. Der ebenso kunstgierige wie repräsentationssüchtige Friedrich August III. kaufte das Gemälde den Benediktinern in Piacenza ab. Raffael hatte das Bild vor 500 Jahren für die Klosterkirche der norditalienischen Stadt gemalt. Die „Sixtina“ diente als Andachtsbild am Hochaltar der Kirche San Sisto. Papst Julius II. hatte es 1512 bei dem erst 29-jährigen, doch schon berühmten Maler in Auftrag gegeben und für die Klosterkirche gestiftet, wo die ernste Schöne nur für die Mönche zu sehen war.

Dem Bild gegenüber war ein großes Kruzifix angebracht. Der traurige Blick der Muttergottes und das ängstliche Gesicht des Knaben waren also in die schmerzhafte, doch unausweichliche Zukunft – den Kreuzestod – gerichtet. Dennoch schreitet die Mutter voran. Dennoch bringt sie ihr schutzlos-nacktes Söhnchen hinaus in diese Welt. Das ist die tragische Botschaft des Bildes, die, nach christlichem Verständnis, doch auch tröstet: Denn Jesus kommt in die Welt, um sie zu erlösen. Und er wird nach dem Kreuzestod auferstehen und in den Himmel auffahren.

Jetzt kommen die Engelchen am unteren Bildrand ins Spiel. Sie sind dazu da, Jesus wieder in die himmlischen Sphären zurückzubringen. Bis es so weit ist, langweilen sie sich ein bisschen. Und denken sich garantiert den einen oder anderen Schabernack aus . . .

Raffael hat sie dem Bild erst spät hinzugefügt. Zunächst wohl, weil er den Bildvordergrund zu leer fand und ein Ungleichgewicht in der Komposition fürchtete. Dass er zwei Lausbuben mit zerzausten Haaren auf die Leinwand setzte, ist indes mehr als technische Professionalität. Es ist Genie. Die Engelchen sind Boten, Mittler zwischen Himmel und Erde. Dem Irdischen verbunden auch, weil sie auf einer Holzbalustrade lehnen – der gemalten Fortsetzung des Altars. Himmlisch sind sie schon wegen ihrer Flügel. Im Zusammenhang mit der Elegie der Muttergottes verbinden sie Gegensätze: den Himmel mit der Erde, die Kunst mit dem Leben. Und heiligen Ernst mit subtilem Humor.

Auch die krumme Vorhangstange hat mit Humor und der Verbindung von Diesseits und Jenseits zu tun. Bloß hat sie, anders als die putzigen Putten, keine Karriere als eigenständiges, mehr oder weniger kitschiges Motiv auf Tassen, Postern, Einkaufstaschen und T-Shirts gemacht. Aus naheliegenden Gründen.

Dresden feiert die Madonna mit einer Ausstellung

Erstmals wird die gesamte Geschichte der Sixtinischen Madonna in einer Ausstellung chronologisch gezeigt: von der Entstehung in der Renaissance bis zum Mythos der Gegenwart. Die Schau „Die Sixtinische Madonna. Raffaels Kultbild wird 500“ in der Gemäldegalerie Alter Meister am Dresdner Zwinger dauert bis 26. August. Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr, Donnerstag und Samstag bis 21 Uhr.

Das Herz der Ausstellung ist, laut Mittelung der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, ein hochkarätiges Ensemble von Werken Raffaels rund um die Sixtinische Madonna. Unter den Leihgaben aus den bedeutendsten Museen Europas finden sich die „Donna Velata“ (um 1512/13) aus der Galleria Palatina des Palazzo Pitti in Florenz – Vorbild für die Sixtinische Madonna? – , die „Garvagh Madonna“ (um 1510) aus der Londoner National Gallery wie auch ein Fresko-Entwurf aus der „Vertreibung des Heliodor“ (um 1512) der Pinacoteca Vaticana. Die Madonna selbst wurde von ihrem angestammten Platz in einer der Sichtachsen der historischen Räume am Zwinger in den Saal für die Sonderausstellung geschafft.

Weitere Sektionen der Ausstellung laden den Besucher ein, mehr über den spektakulären Ankauf des Gemäldes für die Gemäldegalerie Alte Meister zu erfahren und seinen Weg zum Mythos zu verfolgen. Zu sehen sind an die 140 Objekte, die den Malerfürsten der Renaissance als Madonnenschöpfer zeigen sollen.

Auch die beiden Engelchen, die sich am unteren Rand des Bildes befinden, werden gewürdigt. Im Jahr 1800 erschienen sie zum ersten Mal als eigenständiges Bildmotiv. Seitdem haben sie ihre ganz eigene Karriere gestartet. Das Foto zeigt eine„Engel“-Version mit den Trickfiguren Ernie und Bert aus der Kinder-Fernsehserie „Sesamstraße“.

Die Sixtinische Madonna wird in der Sonderausstellung erstmals mit einem neuen Rahmen zu sehen sein. Er ersetzt den bisherigen Neorenaissancerahmen, der das Bild seit 1956 umgab. Da nicht bekannt ist, wie der originale Rahmen aussah, als das Bild in der Klosterkirche von San Sisto in Piacenza hing, wurde in einem aufwendigen Prozess ein oberitalienischer Tabernakelrahmen kopiert. Der neue Rahmen reflektiert nun einerseits die sakrale Herkunft von Raffaels Gemälde „und fördert die ästhetische Wirkung dieses Ausnahmebildes“, so die Staatlichen Kunstsammlungen, sodass eine neue Begegnung mit der „Schönsten Frau der Welt“ möglich wird. Zudem wurde die Verglasung, die das Bild schützt, erneuert. Text: hele

 
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