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MEININGEN
Schillers "Räuber": Mit Sturm und Drang ins Ungewisse
Jung, laut, uniformiert: 40 Jugendliche stehen auf der Meininger Bühne in Schillers „Räuber“ im Dienste der Bande von Karl Moor.
Foto: Marie Liebig | Jung, laut, uniformiert: 40 Jugendliche stehen auf der Meininger Bühne in Schillers „Räuber“ im Dienste der Bande von Karl Moor.
Siggi Seuß
 |  aktualisiert: 27.04.2023 07:32 Uhr

Da ist Bewegung im Raum. Leben. Kraft. Rhythmus. Ausdruck. Sturm und Drang eben: Schillers Erstlingswerk „Die Räuber“, das er im Alter von 21 Jahren vollendete, auf der Bühne des Meininger Theaters (Meiningen, Thüringen). Mit einem gut disponierten Ensemble und vierzig Jugendlichen, die sich lautstark und uniform in Karl Moors Räuberbande einreihen.

Schwarz gewandet treten sie in Reih und Glied, schreien sich ihre Wut und ihren Willen von der Seele und sollen – ja, was wohl? – allein durch ihre massive Präsenz eine Brücke zur Gegenwart schlagen. Noch bevor sich der Eiserne Vorhang öffnet und Regisseurin Gabriela Gillert Karl Moor ein glühendes Plädoyer über die unverfälschte Klugheit der Kinder ins Publikum werfen lässt, noch bevor sich Karl also bemüht, den Bezug zur Gegenwart anzumahnen, ertönen bereits aus dem Off nachdenkliche Sätze Jugendlicher zu aktuellen Ungerechtigkeiten. Man will uns sensibilisieren für die Frage, ob sich Worte und Taten von Schillers Protagonisten, beflügelt vom stürmenden und drängenden Spiel, im Hier und Jetzt festsetzen.

Oben und unten auf der Bühne

Das Hier und Jetzt auf der Bühne ist ein zeitloser, mobiler Raum. Es sind atemberaubend klare, abstrakt-historisierende Bilder von Helge Ullmann (zusammen mit Anna Luisa Vieregge auch Kostüme). Oben die nüchtern kalte Welt des zweitgeborenen Adelssprosses Franz, der im intellektuell verbrämten, wahnhaften Neid und Hass auf Vater und Bruder Intrige um Intrige spinnt, um die Macht an sich zu reißen. Unten das düstere Reich des zwischen Freiheitswillen und Liebessehnsucht hin- und hergerissenen Bruders Karl, vollgehängt mit weißen Kokonen, denen fertig uniformierte Jugendliche entschlüpfen, um sich sogleich in Karl Moors Räuberbande einzureihen und zum Agitationschor zu mutieren, der das Geschehen nicht kommentiert, sondern sein Wollen – choreografiert von David Williams – unisono in die Welt brüllt.

Zuerst aber öffnet sich, zur stets präsenten Livemusik der Dreiercombo des Musiker Xell, das Leben der beiden vermeintlich ungleichen Brüder Franz und Karl Moor, so wie es ihnen Schiller auf den Leib schrieb: Maßloses Gefühl beim geliebten Karl, in das sich immer wieder der Verstand einzumischen versucht. Maßloser Verstand beim ungeliebten Franz, getrieben vom nagenden Neid des Zukurzgekommenen. Björn Boresch (Franz) und Vivian Frey (Karl) mimen dieses Chaos pubertärer Sinnsuche meisterlich. Um sie herum eine Schar bemerkenswerter Schauspieler: Hans-Joachim Rodewald (Vater Moor), Mira Elisa Goeres (Amalia), Georg Grohmann (Roller), Peter Liebaug (Razmann), Sven Zinkan (Schweizer) und Fridtjof Matti Bundel (Kosinsky).

Belehrung der Regisseurin

Michael Jeskes Part als Karls gewissenloser Gegenspieler Spiegelberg bleibt relativ nebulös, was vor allem an dem ihm zugedachten Gentleman-Äußeren liegt. Das Bemühen der Regisseurin um Gegenwartsbezug wirkt allerdings peinlich, wenn Visionär Karl gegen die Verderbtheit der Welt des 21. Jahrhunderts agitiert und dabei unter anderem Seehofer und Maaßen erwähnt. Als müsse das Publikum belehrt werden.

Ja, es ist Bewegung im Raum. Leben. Kraft. Rhythmus. Ausdruck. Und genügend Gedankenfreiheit. Aber die Inszenierung ignoriert wichtige Fragen. Wann endet die beschworene unverfälschte Klugheit der Kinder? Hatten auch Karl und Franz eine Chance auf kindliche Klugheit? Oder stand Vaters Tyrannei im Wege? Und schließlich: Wo führte es hin, wenn Jugendliche Banden gründeten, wie einst im Zuge der Schillerschen Räubereuphorie? In extreme Sumpfgebiete oder in eine bessere Welt?

Nächste Vorstellungen: 1. November 19:30 Uhr, 2. Dezember 15 Uhr, 11. Januar 19:30 Uhr. Kartentelefon unter Tel. (03693) 451 222 oder unter www.meininger-staatstheater.de

Vivian Frey als Karl Moor
Foto: Marie Liebig | Vivian Frey als Karl Moor
 
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