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Würzburg
Schauspielerin Marianne Koch über das Älterwerden
Marianne Koch im Januar 2011.
| Marianne Koch im Januar 2011.
Julia Haug
 |  aktualisiert: 19.10.2020 11:06 Uhr
Frage: Frau Koch, schauen Sie gerne in den Spiegel?
Marianne Koch: Nicht besonders gern, aber auch nicht ungern. Ich hab schönes Licht am Spiegel – das ist gut. Mich zu sehen, hat bei mir nicht viel mit Emotionen zu tun. Ich gucke halt, ob das Make-up okay ist.

Sie sind 82 Jahre alt, sehen aber aus wie Mitte 60. Fühlen Sie sich trotzdem wie 82?
Koch: Ich weiß nicht, wie man sich normalerweise mit 82 fühlt. Ich fühle mich jedenfalls okay und fit. Glücklicherweise kann ich meine Glieder bewegen. Eigentlich fühle ich mich nicht anders als vor 20 Jahren.

Und vor 20 Jahren – haben Sie sich da wie 62 gefühlt?
Koch: Da habe ich mich auch okay gefühlt. Ich hab das Glück, dass ich offensichtlich gute Gene habe. Ich bewege mich viel, ernähre mich relativ gesund. Und ich bewege mich geistig viel, mache jede Woche die Sendung, Gesundheitsgespräch' in Bayern 2 Radio über neueste medizinische Themen.

Die Deutschen werden immer älter. Recht so?
Koch: Ja, wir haben das Glück, dass wir länger leben können als unsere Eltern und Großeltern. Man muss versuchen, mit diesen geschenkten 15 Jahren etwas anzufangen. Nicht nur auf der Couch sitzen und fernsehschauen, sondern es genießen und die Jahre mit Leben füllen.

Sind die zusätzlichen Jahre ein reiner Segen?
Koch: Ein richtiger Segen, ja. Nur die Leute gönnen es den Alten nicht. Es gibt diesen furchtbaren Spruch von der ,überalterten Gesellschaft'. Das heißt im Grunde: ,Es ist nicht richtig, dass du noch da bist. Warum kratzt du nicht ab?!' Dagegen muss man sich wehren, wenn man älter wird. Inzwischen haben Personalchefs großer Firmen allerdings eingesehen, dass man mit 55 nicht zum alten Eisen gehören muss und dürfte. Dass die Schaffenskraft plus die Erfahrung, die man da hat, für alle Firmen wichtig sind. Die älteren Menschen haben immer noch das Gefühl, sie werden nur geduldet und nicht wirklich akzeptiert in dieser Gesellschaft.

Nun sind aber nicht alle Leute bis ins hohe Alter leistungsfähig . . .
Koch: Nein, nach den Kräften muss man das natürlich machen. Es ist keine Vorschrift, sich auch im Alter noch in der Altenpflege oder im Kindergarten einzubringen.

Mit dem Alter steigt die Gefahr von Zipperlein und auch schwereren Krankheiten. Ganz vorne dran die Demenz.
Koch: Ganz hinten dran, Gott sei dank.

Zeitlich ja, aber von der Fallzahl her.
Koch: Diese Angst wird geschürt. Statt die älteren Menschen zu fördern, fördert man die Ängste vor Einsamkeit, vor nachlassenden Kräften und vor allem vor Demenz. Man weiß heute, dass man eine Alzheimerkrankheit zwar nicht verhindern kann, aber die Risiken beeinflussen kann, indem man sein ganzes Leben lang sein Gehirn benützt.

Also das klassische Kreuzworträtsel machen?
Koch: Kreuzworträtsel sind nie schlecht. Aber das ist ein bisschen einseitig. Man sollte schon in frühester Jugend sein Gehirn beschäftigten und somit programmieren. Es gibt den Begriff der ,kognitiven Reserve'. Das heißt, Menschen, die ihre Milliarden Hirnzellen programmiert haben, also Töne, Bilder und alles im Laufe eines Lebens abspeichern, haben immer noch genügend intakte Zellen, während andere vielleicht schon abgestorben sind, wenn man eine solche Krankheit bekommt.

Kann man seinen Geist auch über den Körper fit halten?
Koch: Man kann damit Risiken abbauen. Durch körperliche Bewegung wird die Bildung von Transmitterstoffen im Gehirn angeregt. Die braucht man an den Kontaktstellen der Nerven untereinander, also für das Denkvermögen.

Sie selbst haben gute Gene. Ihre Mutter ist 93 Jahre alt geworden. Sind Anlagen wichtiger als der Lebensstil?
Koch: Wir sind keine Sklaven unserer Gene. Wenn die Eltern Diabetiker waren, heißt das noch nicht, dass das Kind auch Diabetes bekommt. Wenn er oder sie das weiß, muss er andere Risikofaktoren eben vermeiden.

Haben Sie sich Gedanken gemacht, wie das Sterben aussehen könnte?
Koch: Ich habe mir keine konkreten Vorstellungen gemacht. Man hofft immer auf den berühmten Ziegelstein.

Schnell und schmerzlos also. In welchem Alter fühlten Sie sich in Ihrem Körper am wohlsten?
Koch: Das kann ich nicht sagen. Aber ich habe mich unglaublich wohl gefühlt nach der Entscheidung, mit dem Filmen aufzuhören und mein Medizinstudium an der Uni fertig zu machen. Das war ein Hochgefühl.

Mit 40 muss das gewesen sein?
Koch: Ja, das war, was ich mir schon als Kind vorgestellt hatte. Wenn alte Wünsche in Erfüllung gehen, fühlt man sich gut.

War es auch angenehm, nicht mehr für sein Äußeres vor der Kamera beurteilt zu werden?
Koch: Ich hatte zu meinem Äußeren – manche haben auch Schönheit oder so etwas gesagt –, nie eine Beziehung. Ich fand mich nicht besonders schön und bin deshalb auch nicht traurig, wenn ich jetzt Falten habe.

Wann haben Sie die erste Falte an sich entdeckt?
Koch: Das weiß ich nicht mehr. Ich schau mich nicht so an mit der Frage „Wo ist eine Falte?“. Da hab ich andere Probleme oder Nicht-Probleme. Aber sicher war es eine von meinen Zornesfalten.

Kommt dieser Mangel an Eitelkeit durch die Erziehung?
Koch: Ich will nicht sagen, dass ich nicht auch eitel bin. Aber es gibt diese Sage von den drei Grazien, in der Göttersohn Paris den goldenen Apfel der Schönsten geben soll. Und natürlich bekommt ihn dann Aphrodite, die Göttin der Schönheit. Ich wollte aber nie Aphrodite sein, sondern lieber Pallas Athene, die Göttin der Weisheit und des Kampfes. Das ist schon sehr komisch.

Botox-Partys und Lidstraffungen sind inzwischen Alltag – wie hat sich das Körperbild der Deutschen verändert?
Koch: Das ist in anderen Ländern noch schlimmer. In Brasilien zum Beispiel. Weder Botox noch kosmetische Chirurgie kamen für mich in Frage. Das muss aber jede Frau für sich entscheiden. Nur irgendwie ist es lächerlich, wenn man das Gesicht straff zieht und den Busen hochzurrt – also die äußere Hülle bearbeitet – statt den inneren Menschen lebendig zu halten.

Das Körperbild, das Mädchen in Model-Castingshows vermittelt wird, ist ungesund: Mager und jung muss der Körper sein. Eine Gefahr?
Koch: Furchtbar. Das war aber schon bei den Barbie-Puppen so. Ich kenne junge Mädchen, die gesagt haben, ich muss abnehmen, obwohl sie vollkommen normalgewichtig waren. Die sind in eine Anorexie, also eine Magersucht, gerutscht.

Thema Schmerzen. Sie sind Ehrenpräsidenten der Deutschen Schmerzliga. Können Sie morgens komplett ohne Schmerzen aufstehen?
Koch: Ja. Aber das ist nicht meinVerdienst, sondern ein Glück.

Was tut der Verein?
Koch: Es ist ein Patientenverein. Wir sind für Patienten da, die chronische Schmerzen haben und nicht genügend Möglichkeiten gehabt haben, von erfahrenen Schmerztherapeuten behandelt zu werden, so dass die Schmerzen gelindert werden oder weg gehen. Es gibt rund zehn Millionen Menschen in Deutschland, die an dauernden oder immer wiederkehrenden Schmerzen leiden. Im Verein kriegen wir 10 000 bis 20 000 Anfragen pro Jahr und versuchen zu Ärzten und Selbsthilfegruppen zu vermitteln. Das Verständnis für die Situation des anderen wird gestärkt.

Mangelt es an Verständnis für Schmerzkranke?
Koch: Total. Denn Schmerzen sieht man nicht, Schmerzen kann man nicht messen und nicht nachweisen. Es gibt viele, deren Kollegen meinen, man drücke sich vor der Arbeit, wenn man wieder mal Migräne hat.

Es gibt auch ein Schmerzgedächtnis.
Koch: Das Schmerzgedächtnis bildet sich, wenn ein kaputtes Knie oder ein kaputter Rücken nicht rechtzeitig behandelt wird. Dann kriegt das Gehirn ständig diese Signale, lernt den Schmerz und kann ihn nicht mehr vergessen.

In diesem Fall ist ein gutes Gedächtnis offenbar nicht förderlich.
Koch: Überhaupt nicht.

Blicken Sie immer noch frohen Mutes in die Zukunft? Die Wahrscheinlichkeit für lebensbedrohliche Krankheiten steigt mit dem Alter.
Koch: Ich beschäftige mich nicht nur mit einem vergnügten Weiterleben, sondern schon auch mit dem Sterben. Das gehört zum Leben dazu.

Sollte man das in jedem Alter tun?
Koch: Ja, am besten. In früheren Zeiten war das Sterben in Großfamilien viel unmittelbarer: Das Sterben der Großmutter haben alle miterlebt. Es war nicht mit solchen Tabus belegt, wie es heute teilweise der Fall ist.

Einsamkeit im Alter ist heute ein großes Problem.
Koch: Einsamkeit ist eine ganz große Gefahr. Man muss sich rechtzeitig eine soziale Kompetenz erwerben. Wenn man keine Familie hat, die Ansprechpartner ist und in der man sich geborgen fühlt, dann muss es eben ein Freundeskreis sein. Oder eine kirchliche Gemeinde. Irgendwo, wo man dazugehört. Dazugehören hält auch jung.

Haben Sie eine Patientenverfügung?
Koch: Ja. Die muss man so ausfüllen, wie man selbst behandelt werden will. Wenn man einen vertrauten Hausarzt hat, sollte der einem helfen. Damit man nicht nur vage, sondern präzise Angaben macht.

Gibt es den Arzt, den Sie verkörpern, noch? Ärzte, die sich den ganzen Menschen ansehen.
Koch: Natürlich, es wird ihnen nur immer schwerer gemacht. Ich kann Ihnen vier, fünf Ärzte in meiner Umgebung nennen. Ärzte, die den Menschen erst mal kennenlernen wollen, bevor sie ihn behandeln.

Wie kommt man an einen guten Arzt?
Koch: Meistens geht es über Empfehlung. Aber ältere Menschen müssen ausprobieren, ob der Arzt willens ist, ihnen die volle Zuwendung und volle medikamentöse Möglichkeiten zubilligt. Auch wenn sie alt werden.

Also auch das zweite Hüftgelenk, wenn man schon über 90 ist?
Koch: Das kommt darauf an, ob es Sinn macht und der Mensch das körperlich verkraftet. Nicht alles, was machbar ist, ist auch gut für einen alten Menschen. Die PRISCUS-Arzneiliste führt die für ältere Menschen schädlichen Medikamente und ihre besseren Alternativen auf. Ich wünschte mir, alle Ärzte würden diese Liste kennen.

Mit der ein oder anderen Vitamin-Brause-Tablette im Wasserglas bleibt man aber schön frisch, oder?
Koch: Nein, das sehe ich außerordentlich kritisch. Studien belegen, dass das gar nichts bew irkt. Es bewirkt nur, dass die Hersteller reicher werden. Es gibt ein paar wenige Nahrungsergänzungsmittel, die sinnvoll sind. Zum Beispiel Jodsalz, weil Deutschland in einem jodarmen Gebiet liegt. Oder Leistungssportler, die Magnesium und Elektrolyte brauchen, die sie durch Schwitzen vermehrt ausscheiden. Und Folsäure für Schwangere.

Warum empfehlen Sie, eine Orange zu essen statt das Vitamin C über eine Tablette aufzunehmen?
Koch: Weil Sie mit der Orange auch noch sekundäre Pflanzenstoffe aufnehmen, die helfen die Vitamine in den Körper einzuschleusen. Vitamine aus der Apotheke haben darum nicht annähernd diese Wirkung.

Aber als Ergänzung kann ich damit doch nichts verkehrt machen?!
Koch: Doch! Wenn man zu viele von diesen Vitaminen nimmt, kann das sogar krebserregend wirken. Vitamin D, das jetzt wieder so hochgejazzt wird, und alle fettlöslichen Vitamine können bei Überdosierung nicht mehr ausgeschieden werden. Ich warne davor. Wenn wir uns einigermaßen vernünftig ernähren und einigermaßen regelmäßig ans Tageslicht – es muss nicht einmal Sonne sein – gehen, haben wir einen guten Vorrat an Vitamin D.

 

 
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