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Roxette - Wie Maries Krebs das Duo veränderte
Nachwirkungen: Vor 13 Jahren erkrankte Sängerin Marie Frederiksson an einem Hirntumor. Der Krebs ist zwar geheilt, vieles aber anders geworden bei dem schwedischen Pop-Duo Roxette. Per Gessle erzählt, was.
Steffen Rüth
 |  aktualisiert: 19.10.2020 11:05 Uhr

Marie Frederiksson und Per Gessle, beide 56, hatten in ihrer 30-jährigen Karriere mehr Hits als ein Monat Tage. Seit Marie 2002 nur knapp einen Hirntumor überlebte, musste das schwedische Pop-Duo Roxette jahrelang pausieren, ist aber seit 2009 wieder aktiv. Am 3. Juli treten die beiden nebst Band im Bad Kissinger Luitpold Park auf.

Frage: Per Gessle, was ist Ihr persönlicher Lieblingsmoment im Roxette-Konzert?

Per Gessle: Die letzten elf Songs!

Ein langer Moment.

Gessle: Und ob. Geschlagene fünfzig Minuten und ein Monster-Hit nach dem anderen (lacht). Es ist wirklich toll. Wenn du vier Hits hintereinander spielst, rechnen die Leute nicht mit einem fünften, und dann noch einem und noch einem. Am Schluss holen wir echt alles raus.

Sie feiern mit dieser Tournee den 30. Bandgeburtstag. Roxette gibt es doch erst seit 1986, konnten Sie es nicht abwarten?

Gessle: Wir sind sogar schon seit Ende 2014 unterwegs, in Russland und dem Baltikum haben wir angefangen. Wir wollen bis mindestens Frühjahr 2016 unterwegs sein, Südamerika und unbedingt auch Nordamerika haben wir uns vorgenommen.

Man liest, dass Sie speziell in Südamerika absolute Megastars seid. Woran liegt das?

Gessle: Als die Wirtschaft Südamerikas 1992 am Boden lag, sagten alle ab – Guns N' Roses, Michael Jackson – nur Roxette sind gekommen. Wir haben die Eintrittspreise sehr niedrig angesetzt und in Fußballstadien vor bis zu 90 000 Menschen pro Abend gespielt. Das haben uns die Leute nie vergessen. In Peru gelten wir bis heute als die Musik der Jugend.

Dabei sind Sie beide mittlerweile 56 Jahre alt. Die gleichaltrige Madonna hat sich jüngst über Altersdiskriminierung im Pop beschwert. Pflichten Sie ihr bei?

Gessle: Ja, sie hat schon recht, ich teile diesen Eindruck. Ein Stück weit ist es normal: Speziell die Radiosender wollen immer wieder neue Stimmen, neue Gesichter, neue Geschichten. Andererseits bin ich so naiv, dass ich glaube, ein perfekter Song setzt sich immer durch. Ich gebe die Schuld also nicht dem System, sondern uns selbst. Wenn unsere Musik geil genug ist, dann wird sie auch gespielt. Wenn man den richtigen Song hat, kann es klappen, wobei die Konkurrenz natürlich echt heftig ist.

Sie sind also nach wie vor sehr ehrgeizig?

Gessle: Ja, das bin ich. Als Songschreiber stelle ich mich dem Wettbewerb. Dieses Thema führte früher immer zu großen Auseinandersetzungen zwischen Marie und mir. Sobald wir einen Hit oder ein erfolgreiches Album hatten, wollte sie sich entspannen und ausruhen. Ich wollte das genaue Gegenteil, ich wollte den nächsten Hit. Wenn wir einmal die Wembley Arena ausverkaufen, dann will ich sie bei der nächsten Tour zwei Mal ausverkaufen. Marie denkt eher: „Hey, Wembley ausverkauft, jetzt können wir uns lockermachen.“ Bei unserem Album „Room Service“ im Jahr 2001 war Marie sogar so gelangweilt, dass sie nur zum Singen ins Studio kam und wieder ging.

Haben Sie immer noch solche Diskussionen?

Gessle: Nein. Seit Maries Krankheit ist sehr vieles anders geworden. Heute schaue ich zunächst einmal, dass es ihr gut geht, und ich finde heraus, mit welchen Songs sie sich am wohlsten fühlt.

Vor 13 Jahren erkrankte Marie an einem Gehirntumor. Der Krebs ist zwar geheilt, hat jedoch deutliche Spuren hinterlassen. Marie kann nur noch auf einem Auge sehen, das Denkvermögen hat gelitten, und im Konzert sitzt sie überwiegend, da ihr das Stehen schwerfällt. Unterteilt sich die Karriere von Roxette in die Phase vor und die Phase seit Maries Tumor?

Gessle: Absolut. So ist es. Heute ist Roxette eine ganz andere Geschichte. Ihre Krankheit hat nicht nur Marie selbst, sondern auch Roxette verändert. Marie ist ein anderer Mensch als früher, zerbrechlicher, deutlich weniger belastbar. Damit müssen wir eben zurechtkommen. Die andere Option wäre es, gar nicht mehr aufzutreten. Aber das wäre nicht klug.

Aus welchem Grund?

Gessle: Marie genießt es, auf der Bühne zu sein und zu singen. Die Aufmerksamkeit, die Wertschätzung und die Erfolge, die wir zum Beispiel gerade in Australien hatten, tun ihr sehr gut. Marie fühlt sich besser als bei unserer letzten Tournee vor drei, vier Jahren, es darf nur nicht zu anstrengend für sie werden.

Man hat das Gefühl, die Ära, in der Roxette am größten waren, also die späten 80er, frühen 90er, erlebt gerade eine Renaissance. Woran liegt das?

Gessle: Wir spüren das auch. Das sind die typischen Wellenbewegungen, egal ob in der Musik oder in der Mode. Alte Trends kommen irgendwie mit neuen, kleinen Kniffen wieder. Zurzeit sehnen sich viele Menschen nach organischer Popmusik.

Die wenigsten Popgruppen werden 30 Jahre und älter. Normalerweise ist solch eine Langlebigkeit Rockbands wie den Rolling Stones oder Bon Jovi vorbehalten. Was ist Ihr Geheimnis?

Gessle: Ich glaube nicht, dass es auf diese Frage eine einzige, schnelle Antwort gibt. Zunächst einmal waren wir keine Kids mehr. Wir hatten vor Roxette schon jahrelang Erfolg in Schweden, Marie war 30, ich war 29, als wir unseren Durchbruch schafften. Niemand von uns flippte also mehr aus oder machte Dummheiten.

Gibt es auch musikalische Gründe?

Gessle: Mitentscheidend ist für mich, dass wir uns alles selbst erarbeitet haben. Nach „The Look“ wollte unsere Plattenfirma, dass wir nach Los Angeles ziehen, um mit amerikanischen Musikern und Produzenten zu arbeiten. Das haben wir abgelehnt und lieber weiter mit Gitarrist Christoffer Lundquist und Keyboader Clarence Öfermann gearbeitet, die bis heute dabei sind. Das Ergebnis dieser Entscheidung ist ein einzigartiger Sound. Roxette hat sich eben nie angehört wie Bryan Adams oder Heart oder sonst wer, sondern immer wie Roxette. Abba hatten es in den 70ern genauso

Zerbrechen Sie sich den Kopf, wie Sie „Joyride“ oder „Listen to your Heart“ noch übertreffen können?

Gessle: Überhaupt nicht. Ich meine auch nicht, dass etwa diese Songs so viel besser sind als viele der anderen 700 Stücke, die ich geschrieben habe. Ich finde zum Beispiel, dass „Breathe“ eine viel schönere Ballade ist als „Listen to your Heart“. Es war nur keine Single.

Wissen Sie, wie man Hits schreibt?

Gessle: ich wünschte, dem wäre so. Ich schreibe keine Hits. Ich versuche, gute Popsongs zu schreiben. Der Schritt von einem guten Popsong zu einem Hit liegt außerhalb meiner Kontrolle. Ich bin übrigens miserabel im Aussuchen von Singles. Als die Plattenfirma damals „I wish I could fly“ als Single ausgesucht hatte, fragte ich: „Seid ihr verrückt?“

Sie schreiben noch auf die altmodische Art an Klavier oder Gitarre. Die modernen Produzenten machen alles am Laptop. Können Sie diese Arbeitsweise nachvollziehen?

Gessle: Diese Welt ist für mich gleichermaßen nah wie fern, seltsam und nachvollziehbar. Mein Sohn ist 17 und der totale Computer-Nerd. Er will nach der Schule ins Silicon Valley. Durch ihn bekomme ich mit, was am Computer alles möglich ist. Ich war auch im Stockholmer Fußballstadion, als Avicii dort im vergangenen Sommer aufgetreten ist. Trotzdem gehe ich selbst lieber auf klassische Art zu Werke.

Warum sind Sie nach vielen Jahren in Stockholm eigentlich wieder in ihren südschwedischen Geburtsort Halmstadt zurückgekehrt?

Gessle: Unser Sohn wollte gern auf die dortige Schule, weil sie einen speziellen Mathe-Zweig hat. Halmstad ist sehr schön, wir leben sehr nah am Strand, ich gehe dort jeden Tag eine Stunde am Wasser spazieren, das ist mein Fitnessprogramm.

Ist Halmstad noch so wie früher?

Gessle: Im Grunde schon. Ich habe Freunde dort, einer betreibt heute das Studio, in dem ich aufnehme. Wir fühlen uns als Familie dort sehr wohl, und ich kenne sowieso jede Ecke. Als Kind zog ich mit meinem Vater und meinem Opa, die beide Klempner waren, durch die Abwasserkanäle der Stadt. Nur die Gegend, in der wir wohnen, ist eine andere. Damals lebten wir in der Arbeitersiedlung, heute reicht es für das Villenviertel (lacht).

 
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