Marie Fredriksson sitzt. Ein Barhocker hilft der 57-Jährigen durch die knapp zwei Stunden. Sie wirkt zerbrechlich, die Eingriffe wegen eines Hirntumors haben unübersehbare Spuren an ihrem einst so athletischen Körper hinterlassen.
Doch Marie Fredriksson, vom Krebs geheilt, will singen, will ihren musikalischen Partner Per Gessle nicht allein lassen auf der vielleicht letzten Tour von Roxette. Auch wenn die platinblonde Schwedin in kleinen, bedächtigen Schritten auf die Bühne geführt werden muss: Sie verlässt den Bad Kissinger Luitpoldpark nach 16 Songs als das, was sie ist – als eine ganz Große der internationalen Pop-Musik.
Ein anderer sitzt nicht unter den 5000 Fans in der wunderschönen Umgebung am Saale-Ufer – der Kollege des Berichterstatters, der so unglaublich gern noch einmal „Listen to your Heart“ gehört hätte. Er hat vor zwei Wochen seinen Kampf gegen den Krebs verloren. „Die Balladen von Roxette gehen immer“, hatte er kurz zuvor noch in einer Mail geschrieben, als es darum ging, wer von uns beiden über das Konzert berichten und wer als Begleitperson dabei sein würde.
Ja, die Balladen. Immer wenn es ruhig wird, tauschen Gessle und Fredriksson die Tralala-Ebene mit dem Parkett der großen Gefühle. Gefühle, die Marie Fredriksson angesichts ihres eigenen Leids ebenso wenig verbergen kann wie der Berichterstatter ob des Kollegen viel zu frühen Todes. „Spending my Time” kommt zeitig – und wird an diesem warmen Sommerabend zum roten Faden eines wunderschönen, zwischen Besinnlichkeit und Tanzlaune trefflich balancierenden Konzerts.
„Sleeping in my Car“ eröffnet den schier unendlichen Reigen zeitloser Popklassiker. Selten sieht man so viele gestandene Kerle, die, das Bier in der Linken, die Bratwurst in der Rechten, leise vor sich hin singen. Diese verflixten Ohrwürmer. Und dann lehnt sich – so paarweise erschienen – die Dame des Herzens auch noch an, „Crash! Boom! Bang!“. Ein Roxette-Konzert ist irgendwie auch eine Reise zurück in der Zeit der ersten großen Liebe. Denn auch wenn sich ein paar Junge ins Publikum gemogelt haben – die meisten Fans sind so retro wie die Band.
Dass deren Kern seit drei Jahrzehnten aus Marie Fredriksson und Per Gessle besteht, sieht man: Obwohl privat kein Paar, fängt der ein Jahr jüngere Sänger, Gitarrist und Komponist seine Weggefährtin einfühlsam auf in den wenigen Momenten, in denen sie Schwäche zeigt.
Ein verbales Späßchen hier, eine musikalische Blödelei („Auf der Mauer, auf der Lauer“ bei „Joyride“) da, immer mal eine Anekdote zwischendurch, um Marie Luft zu gönnen. Und wenn ihre Stimme mal an einer Intensität fordernden Stelle („It must have been Love“) brüchiger wird, singt er eben etwas lauter, als es der Hörer von den Alben gewohnt ist.
Größtenteils kommt Fredriksson jedoch ohne Unterstützung klar. Ihre klare, feste Stimme ist neben den famosen Refrains immer noch das größte Qualitätsmerkmal des bisweilen leichtgewichtigen Schweden-Pops, der um das Prädikat „Abba light“ nun mal nicht herum kommt. „Dressed for success“ oder „Dangerous“ haut diese zarte, geschwächte Frau auch im Sitzen so schwungvoll raus, dass im Stehplatzbereich tüchtig das Tanzbein geschwungen wird.
Bei einer so immensen Hitdichte im regulären Teil ist's dann auch verschmerzbar, dass der Zugabenblock mit zwei Songs schmal ausfällt. Doch Roxette wären nicht Roxette, wenn sie ihre Fans nicht mit einem Kracher nach Hause schicken würden: „The Look“, ihr großer Durchbruch 1988.
„Listen to your Heart” scheint Marie Fredriksson auf dieser Tournee als vorletzte Nummer offenbar besser aufgehoben, zu viel Gefühlsduselei liegt der ungebrochen starken Frau dann doch fern. Dem Kollegen hätte die Ballade ohnehin zu jeder Minute des Abends gefallen.