Roger Willemsen gehörte zu den öffentlichen Personen, die irgendwann ein Etikett aufgeklebt bekommen, das sie nicht mehr loswerden. In seinem Fall war es das Etikett „Intellektueller“. Gestört hat ihn das vermutlich nicht, dazu war er zu gerne ein öffentlicher Intellektueller, dazu war seine Intellektualität aber auch zu vielseitig, zu spielerisch, zu fundiert. Am Sonntag ist der Publizist in Wentorf bei Hamburg an Krebs gestorben. Vergangenen August hatte er seine Erkrankung öffentlich gemacht.
Willemsen, geboren 1955 in Bonn in ein kunstsinniges Elternhaus, wurde durch das Fernsehen bekannt, vor allem durch seine Sendung „Willemsens Woche“, die von 1994 bis 1998 im ZDF lief. Er habe über 2000 Menschen interviewt, hat er einmal gesagt. Unter diesen waren Menschenfresser, RAF-Häftlinge, Bankräuber und jede Menge berühmte Namen wie Yoko Ono, Jassir Arafat oder Audrey Hepburn, die ihm ihr letztes Fernsehinterview überhaupt gab.
Eine sehr bekannte Person blieb er auch, nachdem seine Fernsehpräsenz sich auf Gastauftritte beschränkte. Als er 2008 in der Stadtbücherei Schweinfurt auftrat, waren beide Termine in kürzester Zeit ausverkauft. Es las damals aus seinem Buch „Der Knacks“, das sich mit eben jenem Moment befasst, wie er vergangenen Sommer selbst einen erlebte: „Situationen, in denen sich das Leben verlangsamt und unter Umständen die Richtung ändert. Oder in denen das Leben in eine Art posthumen Zustand tritt, weil man sagt, nie mehr sollte es so sein wie vorher.“
Schon als Roger Willemsen 1993 den Adolf-Grimme-Preis erhielt, würdigte die Jury sein Einfühlungsvermögen und die Tatsache, dass er als einer von wenigen im deutschen Fernsehen grammatikalisch korrekte Sätze sprechen könne. Tatsächlich sprach er, wenn er selbst interviewt wurde, mühelos und druckreif Passagen wie diese: „Das Herauspräparieren von diesen alle vereinenden Momenten des Scheiterns, des Kapitulierens, des Wechsels von Dur nach Moll – das ist viel besser verallgemeinerbar als die seltenen Momente des Triumphes. Dieses soziale Moment liegt eher in der Vergewisserung der Wunde, die jeder im Saal hat. Im Endeffekt geht es darum, die Poesie im Scheitern, in der Niederlage zu sehen. Und damit Einsamkeit zu überbrücken.“
Einfühlsamkeit hat dem Bestsellerautor („Das Hohe Haus“) noch ein Etikett eingebracht: Gutmensch. Auch das hat ihn nicht gestört. Schon 2008, auf der Höhe der Bankenkrise, als niemand die Allgegenwart rechtsradikaler und rassistische Hetze im öffentlichen Diskurs ahnen konnte, sagte er dazu: „Man hat aus dem sogenannten Gutmenschen einen Spottbegriff gemacht. Was verstörend ist für eine Zeit, die eher zu wenig als zu viel davon hat. Und Verlächerlichung derer, denen es noch um irgendetwas geht, ist ein fast präapokalyptisches Verhalten.“ Foto: dpa