Weihnachten? Geburtstag? Oktoberfest? Hat's verlässlich jedes Jahr. Das ist schön, da weiß man, was man hat. Im Februar war Florian Silbereisen da, das „Fest der Feste“. Bewährt und gut. Und jetzt? „Rock meets Classic“. Da liefert der umtriebige Stuttgarter Heavy-Rocker Mat Sinner Orchester und Legenden. Nur Top-Leute. Ein Rundum-sorglos-Paket. Eine All-inclusive-Reise der Musikunterhaltung.
Ob Silbereisen oder Sinner – das Publikum kommt mit denselben hohen Erwartungen. Und wird nicht enttäuscht. 3000 feiern in der proppenvollen Würzburger s.Oliver Arena mit Deep-Purple-Sänger Ian Gillan, Status-Quo-Gitarrero Rick Parfitt, der Italo-Rockerin Gianna Nannini und ein paar anderen Altvorderen eine selige Zeitreise durch gut vier Jahrzehnte. Die paar Wackler des Bohemian Symphony Orchesters, das erst spät – beim „Mission Impossible Theme“ – mal aus sich raus darf, wischt Dirigent Bernhard Wünsch ekstatisch ins Lichtgewitter. Er mimt selbst den Rocker. Drum ist's auch nicht aufgesetzt, das Zusammenspiel der sanften Streicherinnen und der kratzigen Kehlen.
Ein Schnipsel von Queen's „Bohemian rhapsody“ und ab durch die Mitte mit AC/DC's „Thunderstruck“ – Sinner stellt seiner starken Combo, in der mit Moritz Müller von Intersphere neuerdings ein Würzburger trommelt, zweieinhalb Stunden eine bärenstarke Rockstimme nach der anderen hinters Mikro. Am kürzesten Marc Storace, doch der Krokus-Shouter sorgt mit „Tonight long stick goes boom“ für Party. Asia-Sänger John Wetton schmiegt sich mit seinem sanfteren Organ zwar besser ins orchestrale Gefüge, „Only time will tell“ oder „Don't cry“ klingen nach 30 Jahren aber arg nach Achtziger-Abifeier-Mucke. „Heat of the moment“ geht immer – doch ausgerechnet da verhaspeln sich die Prager Orchester-Mädels in ihren hübschen schwarzen Outfits.
Auch in Schwarz, arg androgyn vielleicht, watschelt Eric Martin nach vorn: Mr. Big – ja, diese Mädchen-Schmachter. Und fürwahr: Zu „Just take my heart“ und „To be with you“ wiegen vorwiegend Damen ihre Hüften – einige passen sogar noch ins Gewand von einst.
Tanzwütige im Mittelgang
Und wer packt das auch noch mit 58? Diese kleine Italienerin, für die sie den Begriff der Rockröhre erfunden haben: Gianna Nannini. „America“, 25 Jahre hat der Kracher auf dem Buckel – in Würzburg reichen 25 Sekunden, und der Mittelgang zwischen den Stuhlreihen ist voll mit Tanzwütigen. Bei „Bello e impossibile“ stehen Italien-Liebhabern die Tränen in den Augen. Nannini kann eben schmachten und rocken („Latin Lover“). Auch ohne die 90er Fußball-WM-Hymne „Un' estate italiana“ macht sie den Abend zu einer „Notte magica“.
Ein gutes Stück weiter zurück dreht Rick Parfitt die Uhr. Leider nicht bis „Pictures of matchstick men“, vermutlich toben die auf Hits gebürsteten Fans ohnehin viel lieber zu „Whatever you want“, „Down down“ oder „Rockin' all over the world“. Verschmerzbar, dass bei ruhigeren Klängen („In the army now“) die Unterstützung von Francis Rossi fehlt, Parfitts Stimmlein dünner geworden ist – das Wissen, dass da einer steht, ohne den heute so einiges anders klänge in der Rockmusik, vertreibt derlei Gedanken. Das ist eben das Charisma einer Legende. Und dann bekommt sogar Mat Sinner schwitzige Hände.
Gleichwohl mit Sinner, Primal Fear und Voodoo Circle selbst ein deutscher Hardrock-Held, darf er für sein Crossover-Projekt nicht alle Tage Urväter des Genres begrüßen. Deep Purple sind eine Rock-Klassik-Symbiose, Ian Gillan ist ihre Stimme. „Highyway star“, „Perfect strangers“, „When a blind man cries“ – Inkarnationen orchestralen Bombastrocks. Und keiner knödelt dazu so herzergreifend wie Gillan.
Aber er weiß auch, dass „Strange kind of woman“ genauso sein muss wie „Hush“ oder „Black night“. Am Ende mischt sich noch mal die ganze Star-Entourage zwischen Sinners U- und Wünschs E-Abteilung – „Smoke on the water“ ist der perfekte Auszugsmarsch.