Noch würde man lieber ein wenig nachdenken über diese eigenartige (und ausgesprochen schlüssige) Idee, Anton Weberns Fünf Sätze für Streichorchester op. 5 mit Beethovens erster Sinfonie zu verschneiden, da müsste man längst woanders sein, beim Turtle Island Quartet, das Jazz, vorwiegend Bebop, in klassischer Streichquartettbesetzung macht.
Noch würde man gerne die hochpräzisen, energiegeladenen, supersensiblen Schlagzeug- und Marimba-Klänge von Doublebeats nachwirken lassen, da ruft schon Ute Lemper in den Max-Littmann-Saal.
Musik bis tief in die Nacht
Neues Format beim Kissinger Sommer: „Palastrevolution“. Einen Tag lang und bis tief in die Nacht Musik in und um den Regentenbau. Die Premiere am Samstag war fast ebenso anstrengend wie mitreißend, zumindest für die Besucher, die möglichst viel mitbekommen wollten. Die Idee an sich ist fantastisch: jede Menge spannender Programme, Rockmusik auf dem Cembalo etwa. Oder Harmoniemusiken von Mozart im Freien. Oder sich selbst in Loops vervielfältigendes Solocello.
Doch die großen Programmpunkte sind ausgewachsene eigene Konzerte, was bei einer Taktung von zwei Stunden zwangsläufig zu Engpässen führt. Wenn dann der fabelhafte Cellist Daniel Müller-Schott nach einem atemberaubend perfekten wie anrührenden Haydn-D-Dur-Konzert mit dem Bayerischen Kammerorchester Bad Brückenau auch noch zwei Zugaben spielt, die ihrerseits das Kommen wert gewesen wären, kann es schon mal eng werden.
Vorschlag: Kürzere Programme und mehr Zeit zwischen den Konzerten
Ein Vorschlag bei etwaiger – hoffentlicher – Neuauflage im kommenden Jahr: kürzere Programme und ausdrückliche Puffer zwischen den Konzerten. Ohr, Gehirn und Seele brauchen einfach Verarbeitungs- und Erholungszeiten zwischendurch. Die soeben sinnlich erworbene Erkenntnis etwa, wie eng verwoben Weberns Klänge mit denen von Beethoven sind. Oder die hinreißend intensiv und nuancenreich auf zwei Marimbas gespielte Auswahl (leider ohne Quodlibet) aus Bachs Goldberg-Variationen.
Dass Ni Fan und Lukas Böhm, die das Duo Doublebeats bilden, gleich danach mit Param Virs „Drum of the Deathless“ eine Uraufführung folgen lassen, die unter Verwendung koreanischer, tibetischer und indischer Einflüsse einen eigenen, hypnotisch bannenden Kosmos aus Rhythmen, Impulsen, Affekten entstehen lässt, ist allein schon reichlich Arbeit für das musikalische Bewusstsein.
Freie Platzwahl bei 1200 ausverkauften Plätzen
Freie Platzwahl im mit 1200 Plätzen ausverkauften Max-Littmann-Saal ist für Kissinger-Sommer-Besucher eher ungewohnt, vor allem, wenn erst um 19.45 Uhr Einlass ist. Ute Lemper und die Kammerphilharmonie Potsdam entschädigen mit glamourös arrangierten Songs und Chansons von Brecht/Weill über Piaf, Ferré, Brel bis hin zu Gershwin und John Kander („Cabaret“). Die Lemper, reich ausgestattet mit Stimme, Ausstrahlung und der Erfahrung einer Weltkarriere, macht jede Nummer zu großem Kino, und ihre Fans liegen ihr dafür zu Füßen.
Und wer dann noch kann, der wird um 22.45 Uhr in Richtung Lounge im Schmuckhof entlassen, wo DJ Danny Reebo und das Turtle Island Quartet beim Chillen helfen.