Thomas Hettche: Pfaueninsel (Kiepenheuer & Witsch, 352 S., 19,99 Euro)
Diese Geschichte hat eine Geschichte, eine wahre – nachzulesen in historischer Literatur über die Havel und ihre Pfaueninsel und über das preußische Königshaus. Doch ist das Drumherum Märchenstoff mit all seiner wunderbaren und bitteren Wahrheit und elementar in seiner Wirkung auf Herz und Verstand. Thomas Hettches (49) neuer Roman „Pfaueninsel“ – nominiert für den Deutschen Buchpreis – kann beim Leser große Gefühle wecken.
Da geht es durchweg um Monströses, wie die Zeit, die Vergänglichkeit. Gewaltig auch die Betrachtung der Natur, die Antikörper gegen menschliche Bevormundung entwickelt. Nicht weniger gigantisch wird das Thema Liebe behandelt, deftigen Sex inklusive. Das alles verbindende Element ist ein „Monster“ – die Zwergin Marie. Sie hat den von der preußischen Königin Luise für ihren ebenfalls kleinwüchsigen Bruder Christian gefundenen Begriff auf sich übertragen und kann sich Zeit ihres Lebens davon nicht freimachen.
Industrielle Explosion
Mithilfe Maries – eine historische Person des 19. Jahrhunderts – blickt der erfolgreiche Autor („Ludwig muss sterben“) auf den Wandel der Zeit mit ihren Modeerscheinungen und ihrer industriellen Explosion, ohne allerdings das tatsächliche Leben der Maria Dorothea Strakon (1800-1880) zu kennen. Denn von ihr ist bis auf die Lebensdaten kaum etwas überliefert. Hettches Marie ist also das Resultat seiner Fantasie, mal abgesehen von der Tatsache, dass sie 1806 als Schlossfräulein auf die Pfaueninsel mitten in der Havel kommt und Generationen des preußischen Königshauses er- und überlebt.
Hettches historisierendes Märchen ist nicht einfach nur Zeitgeschichte oder eine Geschichte über die Zeit im Wandel. Es ist eine Reflexion über Menschen und Menschlichkeit eines Jahrhunderts, in dem Marie zwar das Kind, nicht aber ihre Würde genommen werden kann.