zurück
FRANKFURT
Raymond Chandler und das Gold der Literatur
Unvergesslich dank Chandler: Humphrey Bogart als Philip Marlowe und Lauren Bacall in der Verfilmung von „Tote schlafen fest“ (1946).
Foto: Cinetext | Unvergesslich dank Chandler: Humphrey Bogart als Philip Marlowe und Lauren Bacall in der Verfilmung von „Tote schlafen fest“ (1946).
epd
 |  aktualisiert: 18.07.2013 17:09 Uhr

„Ich bin ein ruppiger Bursche und bekannt dafür, dass ich ein Croissant mit bloßen Händen zerbreche“, antwortete Raymond Chandler einmal ironisch auf die Frage, wie viel er mit seinem Detektiv Marlowe gemeinsam habe. Mit sieben Romanen und einigen Kurzgeschichten hat Chandler seinen hartgesottenen Privatermittler weltweit populär gemacht. Auf der Kinoleinwand brillierten in der Rolle des unbestechlichen Detektivs Humphrey Bogart, Robert Mitchum und Elliott Gould.

Vor 125 Jahren, am 23. Juli 1888, wurde Chandler in Chicago geboren. Zusammen mit seinem Kollegen Dashiell Hammett, dem Autor des „Malteser Falken“, gilt er als wichtigster Vertreter des harten, realistischen US-Krimis der 30er und 40er Jahre. Der Krimi sollte nach Chandlers Überzeugung den Mord „der Sorte Menschen zurückgeben, die aus wirklichen Gründen morden, nicht nur, um dem Autor eine Leiche zu liefern“.

Brutal und bestechlich

In seinen Büchern werden die Verbrechen nicht mehr auf herrschaftlichen Anwesen begangen, wo der Detektiv am Ende die Lösung des Falls in einer holzgetäfelten Bibliothek vor allen Verdächtigen präsentiert. Mit Geschichten wie „Gefahr ist mein Geschäft“ und Romanen wie „Der große Schlaf“ oder „Der lange Abschied“ schuf Chandler poetische Werke voller Gewalt und Melancholie: Politiker und Richter sind von steinreichen Mafiosi gekauft. Die Polizei ist ebenso brutal wie bestechlich. Und das einzige Gesetz, das noch zählt, ist das des Stärkeren.

Chandlers Storys künden vom amerikanischen Albtraum zwischen den Kriegen, von den Jahren der Prohibition und der Depression, wie das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ schrieb. Seinem Helden Marlowe, der sich in Los Angeles für einen Tagessatz von 25 Dollar durch einen Sumpf von Verbrechen und Lügen schlägt, gelingt nicht viel mehr, als „hier und da Schmutz beiseitezuräumen und sich selbst treu zu bleiben“, resümiert Chandler-Biograf Thomas Degering. Chandler selbst sah seinen Privatdetektiv als „einen Mann, der ehrlich zu sein versucht und am Ende mit einem sentimentalen oder einfach dummen Gesicht dasteht“.

Zeit seines Lebens fühlte sich der Autor, der stets einen korrekten Tweedanzug trug, als Heimatloser zwischen der britischen und amerikanischen Welt. Geboren in Chicago, siedelte er nach der Trennung seiner Eltern mit der Mutter nach England über. Mit Mitte 20 wanderte er wieder in die USA zurück und landete schließlich in Kalifornien, dem Schauplatz seiner Erzählungen. Der Schriftstellerei wandte er sich erst ernsthaft zu, nachdem er einen lukrativen Job in der Erdölbranche verloren hatte.

Als Chandler nach einigen Kurzgeschichten 1939 mit „Der große Schlaf“ seinen ersten Marlowe-Roman veröffentlichte, war er bereits 51. Davor hatte er im britischen Marineministerium und als Buchhalter gearbeitet, sich als freier Journalist versucht und als Freiwilliger im Ersten Weltkrieg gekämpft. Erst mit den Verfilmungen seiner Romane, unter anderem mit Humphrey Bogart und Lauren Bacall („Tote schlafen fest“, 1946), ging es für ihn bergauf. Einige Jahre arbeitete er als gut bezahlter Drehbuchautor in Hollywood. Mit Billy Wilder schrieb er die Filmfassung von „Frau ohne Gewissen“ (1944). Legendär ist sein Drehbuch „Die Blaue Dahlie“ (1946), das er zu Hause im Zustand ärztlich überwachter Trunkenheit in die Maschine getippt haben soll, während vor der Tür Limousinen bereitstanden, um die frischen Seiten direkt zum Drehort mit Alan Ladd und Veronica Lake zu schaffen. Chandler gehöre zu den wenigen Schriftstellern, „die nach dem gewöhnlichen Erz des Kriminalromans gruben und das Gold der Literatur zutage förderten“, würdigte ihn die Londoner „Times“. In der Tat entwickelte der Autor einen unverwechselbaren Stil, den einige mit dem eines Ernest Hemingway vergleichen: Die Stimme einer Zeugin lässt er so „schwerfällig und ächzend aus ihrer Kehle“ kommen „wie einen kranken Mann aus seinem Bett“. Und der große breite Pazifik schleppt sich im Morgengrauen ans Ufer „wie eine Putzfrau, die nach Hause geht“. Mit dem Marlowe-Roman „Der lange Abschied“ gelang Chandler 1953 sein Meisterwerk.

Das melancholische Epos über Freundschaft und Verrat, Schriftstellerei und Alkoholsucht war zugleich der Beginn seines eigenen langen Abschieds. Ein Jahr nach Beendigung des Romans starb seine fast 20 Jahre ältere Frau Cissy im Alter von 84, was ihn völlig aus der Bahn warf: „30 Jahre lang war sie das Licht meines Lebens, mein einziger Ehrgeiz“, notierte er. Der Autor, der vorher bereits phasenweise heftig getrunken hatte, versank im Whiskyrausch, unternahm mehrere Suizidversuche und landete immer wieder in Entzugskliniken. Seine letzten Werke, „Playback“ und eine unvollendete Marlowe-Story, erreichten nicht mehr die Intensität seiner früheren Bücher. Am 26. März 1959 starb er mit 70 Jahren an einer Lungenentzündung – allein in einem Krankenhaus in südkalifornischen La Jolla.

Zum 125. Geburtstage legt der Züricher Diogenes Verlag Chandlers Werke in bibliografischen Sonderausgaben neu auf, unter anderem „Die Philip-Marlowe-Romane“ (sieben Bände in Kassette, 59 Euro)

Raymond Chandler
Foto: Diogenes | Raymond Chandler
 
Themen & Autoren / Autorinnen
Alkoholsucht
Bestechlichkeit
Billy Wilder
Diogenes Verlag
Entziehungskliniken
Erdölbranche
Ernest Hemingway
Humphrey Bogart
Kriminalromane und Thriller
Kurzgeschichten
Polizei
Raymond Chandler
Robert Mitchum
Romane
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen