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WÜRZBURG
Ralf Rothmann findet das Menschliche im Unmenschlichen
Ralf Rothmann
Foto: dpa | Ralf Rothmann
Von unserem Mitarbeiter Roland Mischke
 |  aktualisiert: 07.01.2016 15:23 Uhr

Wir wissen nicht, wie es dem Autor privat ergangen ist und geht, ob er Glück in der Liebe hatte oder eher Unglück. Letzteres ist zu vermuten, denn Ralf Rothmann, 59, schreibt unentwegt über Menschen, die das Risiko auf sich nehmen, zu zweit durchs Leben gehen zu wollen – und stets scheitern. Es ist sein Lebensthema, wer die großen Bücher des vielfach mit Preisen bedachten Schriftstellers kennt, „Stier“, „Wäldernacht“, „Milch und Kohle“ und zuletzt der erschütternde Roman „Feuer brennt nicht“, weiß das.

In seinen neuen Erzählungen geht es abermals um Niederlagen von Menschen, die Wärme suchen, sie scheinbar finden und wieder verlieren. Rothmanns Heldinnen und Helden sind Angestellte, Arbeiter, Arbeitslose, Trinker, Kiffer, leere Seelen. Ihr Autor gesteht ihnen Würde zu, er lässt sie hoffen, sehnen, kämpfen und versteht ihre sexuelle Gier, die sie mitunter in aberwitzige Umstände treibt.

Wie den pubertierenden Bergmannssohn in „Alte Zwinger“, der kein Mädchen auf die Matratze bekommt und deshalb nicht davor zurückschreckt, sich an einer Frau mit stadtbekannt lockerer Lebensweise in ihrer verdreckten Wohnung zu vergehen. Weder gegen noch mit ihrem Einverständnis, denn die Trinkerin, um die 50, liegt dort tot. Eine unverständliche Geschichte, die krasseste, aber Rothmann findet auch da das Menschliche im Unmenschlichen.

Außenseitertum, Begehren ohne Erfüllung, Einsamkeit, Entsagung, Scheitern und Tod. Die Erzählungen handeln von einfachen Leuten, die aus ihrem Milieu herauswollen; Rothmann hat seine Jugend im Ruhrpott verbracht, von dort hat er die Geschichten im Gedächtnis nach Berlin mitgebracht, wo er seit 1976 lebt. Seine Hauptdarsteller reden nicht viel, sind aber eigensinnig. Die Frauen zeigen ihren Lebenshunger offener als die Männer, die Heranwachsenden taumeln herum zwischen den Traumata ihrer Erzeuger und eigenen Lebensentwürfen, die meist zum Scheitern verurteilt sind. Das Scheitern ist prosaisch. Wie beim Ich-Erzähler in „Frischer Schnee“, der seine Lehrstelle als Fliesenleger verloren hat, mit seinem Freund Lars und im getunten BMW mit zwei in einer Kneipe abgeschleppten Mädels in eine schicke Ferienanlage braust, wo seine Mutter als Hausmeisterin arbeitet. Sie bekommen zwei Zimmer, und Lars bekommt sein Mädchen ins Bett. Der Ich-Erzähler, schüchtern, etwas gebrochen, hört die Lustschreie aus dem Nebenzimmer, aber sein Mädchen, das er berühren und streicheln darf, erklärt ihm, sie könne nicht mit ihm schlafen, sie sei gerade aus dem Krankenhaus gekommen.

Er fügt sich in sein Schicksal und denkt an den Schnee, den er morgen wegschieben wird wie so oft, weil er der Mutter gegen Bares zur Hand geht. Um sich zu trösten, erinnert er sich, dass er gelesen hat, Schnee habe ein Gedächtnis, etwa an die Spuren der Tiere im weichen weißen Nass. Mit dem Tauen vergeht das, und so wird auch diese Geschichte vergehen, in ihr ist das Echo des Todes.

Rothmann gibt den Getriebenen durch eine kalte Wirklichkeit etwas Wärme, nimmt sie ihnen dann aber wieder weg. Er liefert dafür auch eine Erklärung: Uns ginge es immerhin noch besser als den Leuten in der Zeit von Shakespeare. „Verglichen mit den Sorgen und Nöten seiner finsteren Gestalten sind wir eigentlich nur Hühner, oder? Shakespeares Hühner. Wir machen ein unglaubliches Gegacker um lauter Kram – Prüfungen, Lockenstäbe, Handymarken, Geld – und wissen insgeheim doch alle, dass es nicht das Wahre ist. Dass nichts das Wahre sein kann hinterm Hühnerdraht.“

Ralf Rothmann: Shakespeares Hühner (Suhrkamp, 211 Seiten, 19,95 Euro)

 
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