Ein Abend, zwei Lesarten. Bei der einen wird es komisch. „Herzlich willkommen, wir sind’s nur“, grüßt ein wohlbeleibter Rainald Grebe an „dieser popeligen Freitreppe auf der hinteren Hafenbühne“. Mit seiner „Kapelle der Versöhnung“ ist der Musikkabarettist an den Main gekommen . . . „aber wir wollen auf große Bühnen, wir müssen noch proben“.
Nächstes Jahr im Februar ist Premiere des neuen Programms. Der Termin stehe, der Rest nicht. Immerhin, Einladung ans Publikum: „Der Text ist Makulatur. Aber Ihr könnt gerne bleiben.“ Und bleiben heißt an diesem Dienstagabend am „popeligen“ Würzburger Hafenbecken, das je dunkler, desto schöner schon noch sein Showbühnen-Potential zeigen wird: ein Dada-Gaga-Unsinnsprogramm der Verballhornungen erster Güte zu erleben.
Der Mann, der vor 15 Jahren durch seinen Song „Brandenburg“ – mehr gebellt, als gesungen -, bekannt wurde, steht ja für genau das. Spaß!
Oder nicht? Auf der heißen schwimmenden Bühne wirft Grebe schwitzend nach zehn Minuten seinen Hüftspeck weit von sich – „schon fünf Kilo abgenommen“ – und besingt den „Urlaub in Deutschland“, dem Land von Graubrot, Schwarzbrot, Goethebrot. „Und 5000 Sorten Bier und 20.000 Bärlauchprodukte erwarten sie hier.“
Grebe haut in die Tasten, macht Mätzchen und erzählt Zeug – „Hunger, müde, Pipi, kalt“. Gitarrist Marcus Baumgart, Bassist Serge Radke und Schlagzeuger Martin Brauer rocken auf diversen Instrumenten dazu und vertonen das Multitasking des Chefs.
Bei Lesart zwei wird es ernst. Denn so schräg, eigenwillig und scheinbar sinnfrei auch ist, was der Musiker-Kabarettist-Schauspieler-Autor-Regisseur-Berufswahnsinnge da macht: Im Grunde betreibt Grebe ernste Soziologie, analysiert scharf und zeigt der Gesellschaft in seiner sarkastischen Lyrik die eigene Fratze. Gerade haben die Versöhnungskapelle und der Satiriker ein neues Album rausgebracht. Es heißt zwar „Albanien“ – wie das Land, „wo der Kaffee löslich ist, die Probleme aber nicht“.
Aber es geht im Grunde wieder um Deutschland, um tote Landstriche, rechte Umtriebe, Folgen der Digitalisierung und des Datenwahns und eine Nation, die an Flachbildschirme und Abwassersysteme glaubt. Es geht um die Verklärung der Region und des Landlebens. „Toast Hawaii wären wir wieder los“. Denn: „Wir panieren heute einen Riesenbovist.“ Da blickt ein kluger Kopf zunehmend ratlos auf seine Heimat – und macht aus einer Ratlosigkeit böse wie gewitzte Lieder. Und sein Publikum, das der öffentlichen Probe beiwohnt, macht die Fitnessübungen – „hüpfen!“ – oder Refrains – „das Volk“ – gerne mit.
Nach zweieinhalb Stunden muss Grebe mit seiner Kapelle aufhören, weil „im Publikum bestimmt ein Anwalt sitzt“, der die überzogenen Minuten zählt und abkassiert. Es bleibt die Vorfreude: Ab August gibt’s im Supermarkt Spekulatius.