Hat Johann Sebastian Bach geheime Botschaften in seinen Werken versteckt? Gibt es einen Bach-Code? Das Internet ist – natürlich – voll von Spekulationen und Verschwörungstheorien. Doch auch seriöse Forscher wollen immer wieder Codes in Bachs Werken entdeckt haben. Martin Smend etwa fand 1950 immer wieder die Zahl 14 in den Noten verschlüsselt.
Wie praktisch alle Bach-Code-Sucher arbeitete auch der Theologe mit Gematrie. Dabei werden Buchstaben in Zahlen umgewandelt. Letztlich fußt die Methode auf der Kabbalistik, bei der in der Bibel nach versteckten Zahlen und Daten gesucht wird. Das A steht dann für eins, B für zwei, C für drei und so weiter. Weil Noten mit Buchstaben bezeichnet werden, lässt sich das System auch bei Musik anwenden. Der Name Bach ergibt demnach die Zahl 14 (B + A + C + H entspricht 2 + 1 + 3 + 8). Und aufeinanderfolgende Noten mit dem Zahlenwert 14 finden sich immer wieder bei Bach.
Smend ist nicht der Einzige, der die Buchstabensuppe kochte. Der Bachforscher Martin Jansen sah in den 1930er Jahren ganze Bibelverse in Noten verschlüsselt. 2005 versuchte die Düsseldorfer Musikwissenschaftlerin Helga Thoene in einem Buch, codierte Bezüge zu religiösen Themen in Bachs Noten nachzuweisen („Sonata a-Moll – eine wortlose Passion“). Sie fand in diversen Werken den entsprechenden Wert für Christus (112), für „confiteor unum baptisma“ (lateinisch für „ich bekenne eine Taufe“) und noch mehr, wie „Der Spiegel“ seinerzeit berichtete. Im „Credo in unum deum“ der h-Moll-Messe singt der Chor 43-mal das Wort „credo“. 43 ist nach dem Zahlenalphabet die Summe von C + R + E + D + O. Übereifrige behaupten, sogar, Bachs Sterbedatum (28. Juli 1750) sei verschlüsselt in die Goldberg-Variationen eingearbeitet . . .
Im üppigen Schaffen des barocken Meisters lässt sich vermutlich beinahe alles finden. Das Bach-Werkverzeichnis listet 1080 Nummern auf, darunter zahlreiche ausladende Kompositionen mit jeder Menge Noten – und entsprechend vielen Möglichkeiten zu wilden Spekulationen. Und weil das menschliche Gehirn darauf programmiert ist, Muster zu erkennen, selbst wo keine sind, werden allzu unkritische Bach-Forscher auch fündig.
„Bach kann sich nicht mehr wehren“, kommentiert Christian Kabitz ironisch das oft verkrampfte Bemühen von Interpreten, Codeknackern und Esoterikern. Doch der Würzburger, der sich seit Jahrzehnten in Theorie und Praxis mit dem Werk von Johann Sebastian Bach auseinandersetzt – als Dirigent, Chorleiter und ausführender Musiker – sagt auch, nicht alles sei Zufall: „Es gibt bewusst eingesetzte Zahlensymbolik in Bachs Werk.“ Vor allem bei der „Bach-Zahl“ 14 sei sich die Musikwissenschaft einig.
Wirklich überraschend ist das nicht. Das Zeitalter des Barock war rätsel- und symbolverliebt. Man versteckte gerne Aussagen unter der Oberfläche. Das zog sich durch alle Künste. Barocke Malerei transportiert meist, symbolisch codiert, mehr Aussagen, als die Szene auf den ersten Blick zeigt. Bach war ein Kind des Barock und als gebildeter Mensch mit Symbolen, ihrer Verwendung und ihren Bedeutungen vertraut. Obwohl an der Schule auch in Mathematik nur mittelmäßig, war er ein mathematisch denkender Kopf. Selbst bei komplizierten Fugen – die logischen Gesetzen folgen – brauchte er keine Skizzen. „Er sah sie vor sich, wie ein Schachgroßmeister Partien dreidimensional vor seinem geistigen Auge sieht“, glaubt Kabitz. Einen Noten-Buchstaben-Zahlen-Code einzuarbeiten, hat Bachs genialem Geist wohl nicht allzu viel Anstrengung abverlangt, ihm aber sicherlich Vergnügen bereitet.
Womöglich hat der barocke Komponist nicht nur mit Zahlen gespielt, sondern auch mit optischen Symbolen. Auffällig oft, so Christian Kabitz, sei das Wort „Kreuz“ mit einer Note vertont, vor der das musikalische Kreuzzeichen (das zum Beispiel ein F zum Fis macht) steht. Ob Zahlensymbol oder Kreuzzeichen: Das sieht nur, wer die Partituren studiert. Hören kann derartige Feinheiten nicht einmal ein geschultes Ohr. Kabitz hält sie dennoch für wichtig. Einmal, weil sie zeigen, wie vielschichtig Bach gedacht hat. Zum anderen, weil auch Nuancen die Art, die Musik zu spielen oder zu dirigieren, beeinflussen sollten. Christian Kabitz erklärt denn auch Chören und Orchestern den symbolischen Hintergrund, wenn er ein entsprechendes Werk einstudiert (derzeit die h-Moll-Messe für die Würzburger Bachtage).
Mit der Bach'schen Symbolik sei es „wie bei einer großen gotischen Kathedrale“, vergleicht er. „Da sind die Verzierungen ganz oben am Turm fein ausgeführt. Von unten kann das zwar keiner sehen, aber es gehörte zum sauberen Handwerk.“ Zudem waren sich die alten Baumeister – und auch Bach, der musikalische Kathedralen errichtete – sicher: Gott kann alles sehen. Und zu dessen Ehre arbeiteten sie. Den Bach-Code kann man nicht nur in der Musik finden: Auf dem berühmten Porträt, das Elias Gottlob Haußmann 1746 malte, trägt Bach eine Weste mit 14 Knöpfen. Das Bild ließ er anfertigen, als er der „Societät der musikalischen Wissenschaften“ beitrat – als 14. Mitglied. Von Bach selbst, der vor 329 Jahren geboren wurde (Quersumme 14!) ist zu der ominösen Zahl kein erhellender Kommentar überliefert.
Die 46. Würzburger Bachtage (21. bis 30. November) haben elf Termine auf dem Programm, darunter zwei Gottesdienste mit Bach-Kantaten. Neben Bach steht Mendelssohn im Fokus. Unter anderem wird dessen Oratorium „Paulus“ aufgeführt (22. November). Mit „Bach meets Cuba“ (28. November) gibt es auch ein Crossover-Projekt. Infos: www.bachtage-wuerzburg.de