Eine abenteuerliche Odyssee der Kunstgeschichte hat ein antikes Marmor-Relief hinter sich, das in Karlsruhe zum ersten Mal öffentlich zu sehen ist. Jahrhundertelang schlummerte das Meisterwerk des Mithras-Kults in einer Höhle in Rom – bis es im Zweiten Weltkrieg bei einem Bombenangriff zerstört und dann zum Teil von Kunsträubern verschachert wurde. Der Kopf des Gottes Mithras gelangte über die Schweiz ins Badische Landesmuseum nach Karlsruhe. „Das war eine dramatische Geschichte“, sagt Katarina Horst vom Badischen Landesmuseum. „Aber jetzt ist das Puzzle gelöst.“
Das nördliche Baden war im 2. und 3. Jahrhundert eine Hochburg des Mithras-Kults, der im römischen Reich eine weite Verbreitung fand. So gab es zwei Tempel in Osterburken (Neckar-Odenwald-Kreis) und Heidelberg-Neuenheim, deren Reliefs im Besitz des Landesmuseums sind. „Da sieht man deutlich einen Unterschied in der handwerklichen Qualität“, erklärt die Archäologin. „Das Mithras-Relief aus Rom ist von einem wirklichen Meister gestaltet worden.“
Das war ungefähr im Jahr 150 n. Chr. Die Höhle in Tor Cervara bei Rom diente etwa 250 Jahre lang den Mithras-Gläubigen als Kultstätte. Danach geriet sie in Vergessenheit, keiner kümmerte sich darum. Bis 1943 ein US-Flugzeug eine Bombe auf die Höhle abwarf. Die Detonation sprengte das Relief in viele Einzelteile. Irgendwann in der Nachkriegszeit muss dann jemand durch den Bombentrichter in die Höhle geklettert sein. Kunsträuber holten die besten Stücke heraus. „Das ist eine Räuberpistole“, sagt Katarina Horst.
Erst Mitte der 60er Jahre wurde das Denkmalamt in Rom, die Soprintendenza, auf die Höhle aufmerksam. „Da fing das Puzzle-Spiel an“, erklärt die Museumskuratorin. Im Thermenmuseum versuchten Restauratoren, die Bruchstücke zusammenzusetzen. Aber wichtige Teile fehlten: ein Stierkopf und der Kopf des Gottes Mithras mit einem Teil des Oberkörpers. Die für den Kult typische Darstellung zeigt den ursprünglich persischen Gott, wie er einen Stier tötet – der Tod des Tieres sollte neues Leben bringen. Weil das Relief unvollständig blieb, wanderte es ins Depot, geriet wieder in Vergessenheit. Dann kam Karlsruhe ins Spiel: 1976 bot eine Kunsthändlerin in Bern dem Badischen Landesmuseum den Kopf eines Mithras-Reliefs an. Das Museum stellte Recherchen an, fand aber keinen Hinweis auf den Ursprung des Fragments. So wurde der Kopf für 60 000 D-Mark (etwa 30 600 Euro) gekauft.
Die fehlende Verbindung zwischen dem Karlsruher Mithras-Kopf und dem Depot in Rom stellte 1987 der Schweizer Archäologe Rolf Stucky her. „Das Relief im Thermenmuseum in Rom lernte ich durch eine italienische Kollegin kennen“, erklärt der Professor. „Mir fiel sofort die dreieckige ,Leerstelle‘ mit dem fehlenden Mithras-Kopf auf.“ Die habe genau zu dem Karlsruher Fragment gepasst. Dieses kannte er von einer Kopie in Bern.
Stucky brachte Fotos der Teile zu einer Kollage zusammen. Das Ergebnis war überzeugend. Das Museum in Karlsruhe setzte sich mit den Behörden in Rom in Verbindung. Nach einer 2007 von Deutschland unterzeichneten Unesco-Konvention können Kulturgüter, die nach 1992 unrechtmäßig eingeführt wurden, von den Herkunftsländern zurückgefordert werden. Der Karlsruher Mithras-Kopf mit seiner Anschaffung im Jahr 1976 wird davon nicht erfasst.
Statt eines langwierigen Verfahrens fanden die Badener und die Römer einen gangbaren Weg. Das Thermenmuseum schickte das Relief Ende vergangenen Jahres in zwei großen roten Kisten nach Karlsruhe, wo es in zehn Tagen sorgsam mit dem Kopf zusammengefügt wurde. Das vervollständigte Mithras-Relief – nur der Kopf des Stieres wird weiter vermisst – wird dann nach Abschluss der Karlsruher Ausstellung „Imperium der Götter“ am 18. Mai für zehn Jahre nach Italien ausgeliehen. Im Gegenzug bekommt Karlsruhe dann eine Leihgabe aus Rom. „Wir suchen uns was Schönes aus“, sagt Katarina Horst.
„Imperium der Götter“ im Badischen Landesmuseum, noch bis 18. Mai, Öffnungszeiten: Di bis So 10.00 bis 18.00 Uhr, das Mithras-Relief ist im oberen Foyer des Karlsruher Schlosses bei kostenfreiem Eintritt zu besichtigen.