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WÜRZBURG
Posthalle: Warum Der W jetzt ein lieber Onkel ist
Niveau statt Gassenhauer: Der W, alias Stephan Weidner, in der Würzburger Posthalle.
Foto: Hans Will | Niveau statt Gassenhauer: Der W, alias Stephan Weidner, in der Würzburger Posthalle.
Von unserem Redaktionsmitglied Michael Bauer
 |  aktualisiert: 29.04.2013 17:03 Uhr

Er war einmal ein bö(h)ser Onkel und will keiner mehr sein: Stephan Weidner ist jetzt – wunderbar selbstverliebt – Der W und macht erdigen Rock mit sperrigen Texten. Vorbei die Zeiten, als der Frankfurter Bub vor Zigtausenden am Bass hantierte. Dafür greift er nun zu Gitarre und Mikro, schart um sich herum drei wirklich starke Musiker, ist mit 800 Fans in der Würzburger Posthalle zufrieden, und die sind es mit ihm. Niveau statt Gassenhauer – das funktioniert.

Es funktioniert, obwohl derjenige jede Wette gewinnt, der darauf setzt, dass im Weidner-Publikum maximal eine Handvoll ist, die auch bei anderen Gelegenheiten verquaster Lyrik samt psychedelischen Melodien lauscht. Es sind überwiegend Onkelz-Fans, die dem ehemaligen Bassisten und Kopf einer der erfolgreichsten, aber auch umstrittensten deutschen Rocker reichlich Applaus spenden für etwas, das so ganz anders klingt als die Mitgröl-Klassiker aus 25 Jahren Band-Historie. Die Böhsen Onkelz sind Geschichte, haben 2006 vor 180 000 Zuschauern am Lausitzring nach zweieinhalb Jahrzehnten Vollgas-Mucke und Provokation ein letztes Mal Adios gesagt. Und eine große Leere bei Fans hinterlassen.

Der Intellektuelle

Nie hätten sie als Rock-Greise enden wollen wie die Rolling Stones, sagte Stephan Weidner einmal. Deswegen lieber Schluss. Nun stehen sie inzwischen aber wieder alle vier auf der Bühne, selbst Drummer Pe Schorowski und Sänger Kevin Russel versuchen sich seit diesem Jahr auf Solopfaden. Gitarren-Legende Matthias „Gonzo“ Röhr bleibt mehr oder weniger dem Deutschrock treu. Doch Weidner, schon zu Onkelz-Zeiten für intellektuelle Einsprengsel verantwortlich, will mehr. Der 49-Jährige will den ernsthaften Musiker in sich nicht länger verstecken. Und fordert alte wie neue Fans ordentlich mit Material zwischen Progressive, Alternative, Stoner, Metal und schaurig schönen Balladen.

Fotoserie
Klar, hie und da erinnern Fragmente an die Onkelz-Zeiten. Schließlich entstammten die meisten Songs seiner Feder. Aber immer dann, wenn's zu leutselig werden könnte, wie bei „Herz voll Stolz“, haut Der W ein Break dazwischen: Bloß nicht schunkeln, bloß nicht dumpf mitschmettern. Allenfalls „Mein bester Feind“ rockt von vorn bis hinten mit durchgedrücktem Gaspedal. „Operation Transformation“ – schon die Titel stehen nicht für griffige Refrains. Schadet's? Jein. Natürlich ist im Hinterkopf die Erwartung aus früheren Tagen an Stimmung und Spaß. Dafür gibt's heute feines Handwerk. Gitarrist Dirk Czuya sollte das Wahwah hie und da mal ruhen lassen, lässt die Finger aber höchst filigran übers Griffbrett sausen. JC Dwyers Schlagwerk kann mehr als treibenden Rhythmus und Henning Menke beweist, warum ihm Weidner den Viersaiter liebend gern in die Hand gerückt hat.

Das ist gehobener internationaler Rock-Standard, kommt bisweilen im lässigen Retro-Gewand daher („Leinen los“), ist aber halt nicht massentauglich. Ohne den Onkelz-Background würden die Vier vermutlich durch Kneipen tingeln, so aber tauchen sie auch auf großen Festivals auf, wie im August beim Dinkelsbühler Summerbreeze.

Kafkas Träume

Richtig interessant wird's in der Posthalle im üppigen Zugabenteil der knapp zwei Stunden. „Der W zwo drei“, „Geschichtenhasser“ hauen rein, „Kafkas Träume“ laden ein zu ebensolchen – ob sich der jüdische Schriftsteller allerdings jemals hätte träumen lassen, Textbaustein eines ehemaligen Onkelz-Musikanten zu werden?

Nun, Stephan Weidner hätte es sich vor gar nicht langer Zeit auch nicht träumen lassen, noch mal einen Song seiner alten Kapelle aufzuführen. „Hab's mir anders überlegt. Die, die sagen, der Weidner verrät sich mal wieder selbst, sollen sich ein Bier holen“, sagt er und überrascht mit einer Nischennummer: „Regen“. Den ohnehin vielschichtigen Song interpretiert Der W noch ein bisschen vertrackter – ein großes Finale eines Konzerts ganz ohne die latente Aggression alter Tage. Stephan Weidner, der auch mal für Maffay textet, steht nicht umsonst an der Spitze des Jugendhilfe-Projekts „Voice vs. Violence“ – er ist jetzt ein lieber Onkel.

 
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