
Popliterat ist das Wort, das man immer wieder liest, wenn es um Benjamin von Stuckrad-Barre geht. Dass das Etikett seine Berechtigung hat, spürt man bei seinen Lesungen – etwa der Montagabend in der Würzburger Posthalle. „Stucki“, so nennt er sich selbst, betritt die Bühne wie ein Popstar zum Jubel der zahlreichen Fans.
Sein „Remix 3“, Anlass für die Lesetour, ist eine Sammlung von Texten der letzten acht Jahre. Eigentlich trägt sie den Titel „Ich glaub, mir geht’s nicht so gut, ich muss mich mal irgendwo hinlegen“. Die Eigenwilligkeit, die der sperrige Titel ankündigt, bringt Stuckrad-Barre dann auch auf die Bühne. In einer Melange aus Selbstinszenierung und Authentizität, irgendwo zwischen Literatur und Journalismus, im Grenzbereich zwischen Entertainment und Kunst macht er sein Ding. Zur Lesung kommt er im Matrosenanzug („wie Donald Duck“) und mit Micky-Maus-Tasche, aus der er gleich mal Wasser, Red Bull, Zigaretten und zwei Aschenbecher zieht.
Ein Rausch würde dem anderen die Tür öffnen
Er rauche auf der Bühne aus dramaturgischen Gründen, erklärt er, den zweiten Aschenbecher postiert er fürs Publikum am Bühnenrand – hinter der weißen Linie. Der Dramaturgie wegen. Stuckrad-Barre bezeichnet das Rauchen als Ersatzhandlung, er habe erst angefangen, seit er keine anderen Drogen mehr nehme. Es ist wohl viel Kompensation nötig. Klar, denn der Autor neigt offensichtlich nicht zu halben Sachen.
Dazu gehört auch der konsequente Verzicht auf Alkohol, obwohl dieser allein nie das Problem gewesen sei, eher die Verknüpfung mit härteren Rauschmitteln, oder, wie er es ausdrückt: „Der eine Rausch würde, einmal hereingebeten, dem anderen mitteilen, wo der Schlüssel ist, und flugs würden die mir gemeinsam die Bude auf links drehen.“
Nüchtern am Weltnichtrauchertag
Der erste Text stammt passend dazu aus dem Band „Nüchtern am Weltnichtrauchertag“ von 2016, in dem er seine nüchterne Klarheit unter Trinkenden ebenso zelebriert wie die exzessiven Rauschzustände aus „Livealbum“ (1999), aus dem er später liest. Aus "Remix 3" wählt Stuckrad-Barre einen Besuch beim fast schon völlig in Vergessenheit geratenen Fernsehpfarrer Jürgen Fliege aus, stellvertretend für die anderen Begegnungen, über die er in seiner Textsammlung schreibt.
Die Kritik hat ihm hier schon vorgeworfen, seiner Zeit hinterherzuhinken. Ein Vorwurf, auf den er, ganz nebenbei, Bezug nimmt: „Wo war ich stehen geblieben? Ach ja, in den 90er Jahren...“. Live ist Stuckrad-Barre allerdings voll da, sprachlich präzise und virtuos. Mit einer kraftvollen Bühnenpräsenz, die in einer Robbie-Williams-Karaoke-Nummer mit laut singendem und Handylämpchen schwenkendem Publikum gipfelt. Popstar eben.