Das Licht geht an, die Musik dröhnt, der Synthesizer krächzt, das Schlagzeug wird malträtiert, die Trompete bis in die höchsten Töne geblasen. Die Frau mit der orangefarbenen Sturmhaube rennt auf die Bühne des Schweinfurter Stattbahnhofs, und los geht der russische Sprechgesang. Wörter wie Maschinengewehrsalven, anklagend, laut, wütend. Pussy Riot – ein Erlebnis. Wenn auch ein anstrengendes.
Anstrengend, weil tiefgründig und nachhaltig. Anstrengend, weil die politische Botschaft, die Maria Alyokina und Band verbreiten, so aktuell ist. Denn es geht nicht nur um Russland und die weltbekannte Geschichte der Aktivistinnen, die 2011 nach einem provokativen Guerilla-Auftritt in einer orthodoxen Kathedrale in Moskau verhaftet wurden und zwei Jahre Lagerhaft in Sibirien verbüßten. Es geht um den Rechtsruck in Europa, der hier lyrisch und lautstark angeprangert wird.
Das Konzert – in Schweinfurt vor nur 100, gleichwohl begeisterten Zuschauern – ist ein Theaterprojekt mit Punk, Performance und Videos, das auf Alyokhinas Buch "Riot Days" beruht, in dem sie ihre Geschichte als Performerin bei Pussy Riot erzählt, von den Anfängen der Gruppe vor acht Jahren, dem Auftritt in der Kirche, Verhaftung, Prozess und Lagerhaft bis zur Entlassung 2013.
Ein feministisches Punk-Manifest: "Jeder kann Pussy Riot sein". Hier weiß man sofort, wer gut und wer böse ist. Während im Hintergrund Original-Videosequenzen zu sehen sind, die Songtexte mit deutschen Untertiteln, ziehen die vier Musiker (neben Alyokina sind das Schauspieler und Sänger Kiryl Masheka, Trompeter und Drummer Oleg Larionov sowie Sängerin und Keyboarderin Nastja Awott) ihre Show durch.
Eine Show, die Gänsehaut erzeugt, weil man genau weiß, was passiert ist, wie der Prozess ablief, wie die Sängerinnen damals in Sibirien schikaniert wurden. Weil es genügend Berichte gibt, wie wenig lupenrein demokratisch das Russland des Wladimir Putin ist.
Ist diese Show so etwas wie Therapie? Wenn ja, wäre es heftig, dauernd das Erlebte wieder hervorzuholen, es Abend für Abend auf der Bühne erneut zu durchleben, die Erinnerungen und Bilder im Kopf, die Wut herausschreiend, während die Videos zeigen, dass es genau so war wie beschrieben. Wer würde sich so etwas aussetzen wollen? Wohl nur ein Künstler mit einer wirklich wichtigen Botschaft.
Die hat das Pussy-Riot-Kollektiv, das offiziell seit 2015 aufgelöst ist, aber durch die weltweit gefeierte Performance weiterlebt. Maria Alyokina, die als einzige der aktuellen Band zu den Inhaftierten gehört, will warnen. Was in Russland passiert, darf sich anderswo nicht wiederholen. "Putin entzündet das Feuer der Revolution", singt sie. Und versucht, es zu löschen, indem er Hunderte als politische Gefangene einkerkert. Die Band engagiert sich für sie, weil sie weiß, wie es ist, wegen der eigenen Meinung im Knast zu sitzen. Ein Teil der Buch- und T-Shirt-Verkäufe geht an die Familien der Inhaftierten.