In einer Talkshow erzählte der spanische Opernsänger Plácido Domingo in den 1970er Jahren einmal, er wisse schon, wo er in exakt fünf Jahren um zehn Uhr vormittags zur Probe erscheinen werde. Bemerkenswert: Bei diesem Blick in die Zukunft nannte er nicht eine Premiere, einen Glanzpunkt der Karriere, sondern einen Arbeitstermin.
Er ist ein ernsthafter Künstler, bis heute diszipliniert und aktiv. Am 21. Januar wird er 75 Jahre alt. Auch im Alter mutet er sich noch große Rollen zu. Der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ sagte er 2009: „Ich werde keinen Tag länger singen, als ich sollte. Allerdings auch keinen weniger, als ich kann.“ Er bete vor jedem Auftritt, „zur heiligen Cäcilia, der Schutzpatronin der Musik, und zu Sankt Blasius, dem Schutzheiligen des Halses“.
Plácido Domingo, geboren 1941 in Madrid, legte einen Blitzstart in eine Weltkarriere hin, wie es sie im Klassikbereich selten gibt: Kindheit und Jugend verbrachte er mit seiner Familie in Mexiko, von 1962 bis 1965 sang er an der Oper in Tel Aviv, 1966 dann zum ersten Mal an der New York City Opera. Schon ein Jahr darauf begann seine internationale Karriere zunächst in Europa, 1968 debütierte er an der Metropolitan Opera in New York.
Heute ist Domingo über die Kenner hinaus auch dem großen Publikum bekannt. Der künstlerische Weg des Heldentenors, der jetzt, im Alter, zunehmend ins Baritonfach wechselt, ist in jeder Beziehung außergewöhnlich. Berühmte Opernsänger haben oft ein relativ kleines Repertoire, mit dem sie überall in der Welt auftreten. Domingo aber hat nach einer Zählung der Staatsoper Berlin, wo er regelmäßig gastiert, 144 Rollen gesungen. Darunter waren auch Uraufführungen, die sich Stars normalerweise nicht zumuten. Bedenkt man, dass das Kernrepertoire auch der bedeutenden Opernhäuser aus nur 50 bis 80 Werken besteht, ergänzt gelegentlich durch Raritäten, dann ist die Zahl 144 geradezu sensationell.
Domingo ist ein sehr neugieriger Künstler, der sich immer wieder auch Rollen in wenig bekannten Werken erarbeitet. Im Zentrum stehen die italienische und die französische Oper mit Verdi, Puccini oder Bizet. Eine Überraschung für viele Kritiker ist sein Interesse für Wagner, Domingo sang Lohengrin, Siegmund und Parsifal auf der Bühne, Siegfried und Tristan für die Schallplatte. Zu seinen neuen Baritonrollen zählt besonders Simon Boccanegra, der in Machtkämpfe verwickelte Doge von Genua in Verdis gleichnamiger Oper, den er in diesem Jahr wieder in New York, Barcelona und Berlin verkörpern wird.
Bei den Salzburger Festspielen singt er in der sehr selten aufgeführten Oper „Thais“ von Jules Massenet den Mönch Athanael, der die Kurtisane Thais zu Gott hinführen soll, aber selbst von ihr fasziniert ist.
Es charakterisiert ihn als Künstler und als Menschen, dass er nicht überheblich ist, keine Scheu hat gegenüber populärer Musik jenseits der reinen Klassik – all das zusammen ergibt eine Art Domin(g)o-Effekt: Jedes neue Genre, in dem er sich versuchte, machte ihn populärer. Mit José Carreras und Luciano Pavarotti trat er in großen Stadien auf. „Die drei Tenöre“ begeisterten ihr Publikum. Hier „konnte sich die Oper wieder neu erfinden“, so seine Überzeugung. Er sang auf einem Album von Carlos Santana („Shaman“, 2002), und jüngst überraschte er seine Fans mit einem Song auf der Weihnachts-CD von Helene Fischer. In den vergangenen Jahren hat er auch begonnen, Opern und Sinfoniekonzerte zu dirigieren.
Domingo war Intendant der Oper in Washington und ist es weiterhin in Los Angeles. 1993 gründete er „Operalia“, einen Wettbewerb für junge Sänger, der jährlich wechselnd in verschiedenen Städten stattfindet. Nachwuchsförderung ist ihm sehr wichtig. Für alle diese Verdienste ist er mit Ehrungen und Preisen geradezu überhäuft worden. Sinn für Selbstironie zeigte er mit einem Gastauftritt in der „Sesamstraße“: Zusammen mit der Puppe Blaffido Flamingo, die nach ihm benannt ist und ihn karikiert, sang er ein Duett. In einer Kindersendung mitzuwirken, ist für ihn selbstverständlich, er hat selbst drei Söhne. Der Sänger hat sein Prestige immer wieder für Wohltätigkeitsaktionen genutzt. Nach einem Erdbeben in Mexiko gründete er ein Dorf für Kinder, die ihre Eltern verloren hatten.
Und die enormen Einnahmen aus seinen Benefizkonzerten steckt er vor allem in Projekte für Kinder und Behinderte.