Genau „33 Tipps gegen Stress“ hat eine Zeitschrift für junge Familien in ihrem Juli-Heft angepriesen. Mühelos spürt man im Netz auch 33 Tipps gegen Pickel, Orangenhaut (Cellulite) oder Erkältungen auf, ebenso viele für schöne Haare oder für eine bessere Welt. Noch einfacher findet man zehn Tipps, und zwar ebenfalls gegen Pickel, aber auch gegen Kopfschmerzen und Müdigkeit, Heißhunger und Winterspeck.
Hier reiht sich das US-Wirtschaftsmagazin „Forbes“ ein und kürt regelmäßig die zehn mächtigsten Frauen der Welt. Wem bloß acht von ihnen präsentiert würden, der hätte wohl gleich die Frage, ob sich denn keine zwei weiteren finden ließen. Auch die Aufzählung der „zwei höchsten Berge weltweit“ erschiene arg kümmerlich. Doch warum ist das so? Und warum schlucken wir bedenkenlos „33 tolle Tipps“, würden aber die Stirn runzeln bei lediglich 27 davon? Oder bei einem Artikel über die „106 teuersten Luxus-Hotels“?
Die kleinste schlagzeilenträchtige Zahl ist die Drei. „Wenn man zwei Eigenschaften erwähnt hat, meint man, noch eine dritte hinzufügen zu müssen, sonst hat man das Gefühl von Unvollständigkeit“, sagt Rudolf Taschner, Mathematiker an der Technischen Universität Wien und Verfasser mehrerer Sachbücher über Zahlenphänomene. Als Grund dafür vermutet er die Neigung der Menschen, Zahlen auch geometrisch abzubilden. „Und ein Zweieck gibt es nicht; die erste wirklich schöne geometrische Figur ist das Dreieck.“ Zudem sei die Drei „die göttliche Zahl“, abzulesen an der Dreiheit von Gottvater, Gottessohn und Heiligem Geist, ähnlich wie Jupiter, Juno und Minerva bei den alten Römern oder Brahma, Vishnu und Shiva bei den Indern.
Die Lust aufs Trio durchzieht unsere Sprache: „Einigkeit und Recht und Freiheit“ oder „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ oder auch „Friede, Freude, Eierkuchen“. Stets sind es drei Begriffe. Wie auch dann, wenn wir in einem Satz konkrete Beispiele für eine Aussage wählen: „Sie mochte Obst – vor allem Äpfel, Birnen und Orangen.
“ Ebenso wurden an alten Gerichtsplätzen oft drei Eichen oder Linden gepflanzt – und man spricht nicht vom Vier-, sondern vom Dreikäsehoch. Auch von Vier-Sterne-Köchen hat noch niemand etwas gehört, obwohl die ihre hingehauchten Mundgenüsse noch teurer verkaufen könnten. Aller guten Dinge sind eben drei.
Gerne aber auch zehn. Das habe zunächst einmal mit unserem Dezimalsystem zu tun, das auf der Zahl Zehn gründet, sagt der Philosophie-Historiker Wilhelm Schmidt-Biggemann von der Freien Universität Berlin, der sich seit Langem mit der Symbolik von Zahlen beschäftigt. „Mit der Zehn lässt sich für uns am besten rechnen, an sie sind wir gewöhnt.“ Schon bei den Pythagoreern der Antike sei sie eine „sehr kraftvolle Zahl“ gewesen. Sogar die „Zahl der Allvollkommenheit“, merkt Rudolf Taschner an. Die Denkschule der Pythagoreer ging auf den griechischen Philosophen Pythagoras von Samos (570–510 v. Chr.) zurück und nahm an, dass der Kosmos nach bestimmten harmonischen Zahlenverhältnissen aufgebaut ist – und wer diese Zahlenverhältnisse kenne und beachte, könne ein weises, naturgemäßes Leben führen. „Die Eins stand für den Punkt, die Zwei für die Linie, die Drei für die Fläche und die Vier für den Raum – und damit hatte man aus Sicht der Pythagoreer die Welt begriffen“, fügt Taschner hinzu.
Addiert man nun die Ziffern 1 bis 4, die sogenannte Tetraktys („Vierheit“), ergibt sich die Summe 10. Auf ihr gründete auch das bis heute gebräuchliche Dezimalsystem, das Griechen, Römern und andere Völker schon in der Antike nutzten. Die vollkommen erscheinende Zehn war gewissermaßen eine heilige Zahl. Auch deshalb hören sich „Zehn Gründe für den Aktienkauf“ für uns bis heute harmonischer, stimmiger, vielleicht auch überzeugender an als bloß acht. Nicht umsonst sollen Christen genau zehn Gebote beachten.
Außerdem kann man sich diese Anzahl von Handlungsvorschriften buchstäblich an den eigenen Fingern abzählen – ein starkes praktisches Argument für das Rechnen auf der Basis Zehn. Dass nie „elf gute Gründe“ aufgeführt werden, hat Wilhelm Schmidt-Biggemann zufolge auch mit der Symbolkraft bestimmter Zahlen zu tun. Zwölf Gründe, ein Dutzend, lassen sich schon viel eher denken, denn auch heute noch erinnert manches in unserer Sprache an das in Europa – zumindest bei germanischen Völkern – früher sehr verbreitete Zahlensystem auf der Basis 12, auch Zwölfer- oder Duodezimalsystem genannt. Womöglich kam es dazu wegen der zwölf Mond-Monate – nach ihrem Ablauf war das Jahr vollendet.
Tag und Nacht haben jeweils zwölf Stunden und enden dann, und es gibt im Jahr zwölf Tierkreiszeichen. Selbst die Europa-Flagge hat unveränderlich zwölf Sterne, weil diese Zahl „die Vollkommenheit und die Vollständigkeit“ versinnbildlicht, wie es in der offiziellen Begründung aus dem Jahr 1955 heißt. Mit einer aktuellen oder angestrebten Zahl von Staaten im europäischen Bund hatten die zwölf Sterne nie etwas zu tun.
Die an die Zwölf grenzenden Zahlen haben einen weniger guten Ruf; entweder fehlt ihnen etwas, oder sie haben etwas zu viel. Die Elf ist Schmidt-Biggemann zufolge „eine verrückte Zahl“ und steht für den Karneval, der am 11.11. beginnt und bei dem ein Elferrat aus elf Würdenträgern eine wichtige Rolle spielt. Die 13 bringe „angeblich Unglück, weil sie für eins mehr als die heilige Zwölf steht.“
Dass Ratsuchenden immer wieder auch 33 Tipps oder Tricks angeboten werden, stützt sich symbolisch „wahrscheinlich einfach auf eine Verdoppelung der Ziffer 3“, so Taschner. Auch 333 Tipps ließen sich infolge dieser Logik denken, doch ginge endgültig die Übersichtlichkeit flöten. Man darf nur hoffen, dass alle 33 Tipps Substanz haben. Sonst wären 29 Tipps sinnvoller – wenn auch vielleicht nicht überzeugender . . . Illustration: Romina Birzer/Thinkstock
Was an der Zwölf so symbolträchtig ist und warum aller guten Dinge drei sind
Wie wichtigdie Zwölf als symbolische Zahl war, sieht man schon an den zwölf Zahlwörtern, die nicht aus der Einer- und Zehnerziffer des Dezimalsystems gebildet werden. Von Eins bis Zwölf hat jede Zahl – und zwar in allen germanischen Sprachen – ihr eigenes Zahlwort, erst die 13 folgt als Dreizehn (gebildet aus Drei und Zehn). An dieser Stelle springt das Zwölfersystem um ins heute übliche Zehnersystem, das ihm nachfolgte.
wird das Zwölfersystem bis heute noch manchmal verwendet: Einmal zwölf sind ein Dutzend (und ein halbes Dutzend sechs), fünf Dutzend, also 60, sind ein Schock. Zwölf Dutzend, nämlich 144, entsprechen einem Gros – woher der aus dem französischen stammende Ausdruck stammt, man kaufe etwas „en gros“ ein, also in großer Stückzahl.
Sprachraum hat sich der zwölf Zoll lange Fuß erhalten. Auch die Apostel beim biblischen Abendmahl waren erst zu zwölft komplett, so wie erst die zwölf Stämme Israels und die zwölf Söhne Jakobs das Dutzend vollmachten.
sei eine „magische Zahl – erkennbar auch an der Heiligen Dreifaltigkeit“, sagt die Sprachwissenschaftlerin Dagmar Schmauks von der Universität Berlin. Geflucht wird bisweilen noch heute „in Dreiteufelsnamen“.
im Märchen verkündet: „Du hast drei Wünsche frei“– fünf davon klängen wohl maßlos, zwei ein wenig knauserig. Selbst wenn wir unser Kind auffordern, einer Behauptung im Schulaufsatz Argumente folgen zu lassen, legen wir ihm nahe: „Hier schreib gleich hin, warum das so ist: erstens, zweitens, drittens!“
wir vermeintlich Dumme von angeblich Klugen dadurch, dass die Erstgenannten nicht oder nur „bis drei zählen“ können. Das rührt wohl daher, dass manche Naturvölker lediglich Ausdrücke für die Ziffern Eins und Zwei kennen – andere für Eins bis Drei oder auch für einige wenige Zahlen mehr. Alles darüber hinaus Reichende müssen sie auf andere Weise ausdrücken oder schlicht als „viele“ bezeichnen.
demonstrieren eine solche Menge zusätzlich noch durch einen Geste. So fassen sich dem Wiener Mathematiker Rudolf Taschner zufolge brasilianische Bakairi- oder Bororo-Indianer in die – hoffentlich noch zahlreich sprießenden – Haare, um Mengen jenseits der Drei darzustellen.
sind aller guten Dinge angeblich drei – und nicht vier oder sechs? Die vernünftigste, wenn auch nicht beweisbare Begründung: Im Englischen heißt das Ding noch heute „thing“. So war es auch gemeint, wenn auf dem Thing, der germanischen Gerichtsversammlung im Mittelalter, eine Sache behandelt wurde – eine Rechtssache, ein Gerichtsding. Dazu musste der Angeklagte erst einmal gefasst = dingfest gemacht werden.
spielte die Zahl Drei eine große Rolle: „Dreimal im Jahr wurde Gericht . . . gehalten, zu jeder Weisung waren mindestens drei Urteiler nötig, der Gerichtsplatz wurde oft durch drei Bäume gekennzeichnet und danach bezeichnet“, schreibt der Sprachwissenschaftler und Volkskundler Lutz Röhrich in seinem „Lexikon der sprichwörtlichen Redewendungen“.
oder auch Dreilinden zum Beispiel sind bis heute in Deutschland noch häufig zu findende Orts-, Flur- oder Wegenamen. Auch um alte Wegekreuze, die an frisch Verstorbene erinnern sollen, findet man bisweilen drei eigens dort gepflanzte Bäume, womöglich wegen der Heiligen Dreifaltigkeit – im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, Amen. Text: W.S.