Wer Patricia Highsmith („Der talentierte Mr. Ripley“) gelesen hat, fragt sich irgendwann, was für eine Persönlichkeit die US-Autorin (1921 bis 1995) gewesen sein mag. Denn viele ihrer Figuren, meist Durchschnittsmenschen, handeln so überzeugend in ihrer Unmoral, ihrem Selbstverständnis vom Verbrechen, dass das Böse den Anstrich der Normalität erhält.
Highsmith, die Mutter des Psychothrillers, verstand viel von den Abgründen der menschlichen Seele – und war selbst in ihrer Komplexität schwer zu fassen. Eine neue Biografie mit dem doppeldeutigen Titel „Die talentierte Miss Highsmith“ kommt der Autorin sehr nahe.
Die US-Schriftstellerin und Dramatikerin Joan Schenkar, Jahrgang 1952, hat das Leben der schillernden Persönlichkeit nahezu minutiös erforscht und von Bekannten und Freunden der Autorin ergänzen lassen. Rund 300 Interviews hat sie in acht Recherche-Jahren geführt. Und Tausende Seiten aus Notiz- und Tagebüchern der Highsmith gewälzt, um deren rätselhaftes Wesen besser entschlüsseln zu können.
Zahllose Liebschaften
Das Porträt ist ein Kunstwerk, spannend und unterhaltsam geschrieben und vor allem derart ausgeleuchtet, dass sich dem Leser eine Pat Highsmith erschließt, wie sie sich wohl nie gezeigt hat oder auch zeigen wollte. Denn Highsmith war trotz ihrer gesellschaftlichen Umtriebigkeit verschlossen und in späten Jahren „eine verbitterte alte Auster“. Zwölf Jahre hat sie beispielsweise gebraucht, um sich als Autorin des homosexuellen Romans „Salz und sein Preis“ zu outen. Dabei war weitgehend bekannt, dass Highsmith lesbisch war und zahllose Liebschaften mit Frauen hatte – einige auch (versuchsweise) mit Männern. Interessant ist das Bild, das Schenkar dabei nicht nur von Highsmith, sondern von der US-amerikanischen Gesellschaft Mitte des vergangenen Jahrhunderts zeichnet.
Pat Highsmith hatte anfangs – und in späteren Jahren wieder – Schwierigkeiten, in den Staaten ihre Literatur an Verlage zu bringen. Bald kehrte sie ihrem Geburtsland den Rücken und ließ sich – mit Unterbrechungen – in Europa nieder, wo sie populär wurde und am 4. Februar 1995 im Alter von 74 Jahren starb.
In den USA ist sie vor allem durch ihren Roman „Zwei Fremde im Zug“ (von Hitchcock unter dem Titel „Der Fremde im Zug“ verfilmt) bekanntgeworden. Später auch durch die Verfilmungen ihres Buchs „Der talentierte Mr. Ripley“, 1960 mit Alain Delon unter dem Titel „Nur die Sonne war Zeuge“ und 1999 unter dem Originaltitel mit Matt Damon. Dem Ripley-Roman sollten noch vier Fortsetzungen folgen, ebenfalls teilweise verfilmt. Ripley, so Schenkar, war eine Art Alter Ego der Highsmith.
Das spannende und durchaus bizarre Leben der Autorin bekommt durch Schenkars Porträt scharfe Konturen und bietet ebenso viel gute Unterhaltung wie ein Highsmith-Roman, denn es dreht sich im Großen und Ganzen um die zwei Hauptstränge im Leben der talentierten Autorin: Liebe und Verbrechen.
Joan Schenkar: Die talentierte Miss Highsmith (Diogenes 1072 Seiten, 29,99 Euro)