
Es gab einmal eine Zeit, da stand der Begriff Orient für eine Weltgegend voller Rätsel und Wunder. Und wenn auch manche dieser Rätsel mit Fremdheit und vielleicht auch ein wenig mit Furcht zu tun hatten, so übte der Orient in seiner geografisch wie kulturell nicht näher definierten Vielfalt doch eine gewisse Faszination aus. Heute setzen wir Orient mit dem Nahen Osten gleich, also mit Krieg, Flucht und Vertreibung. Heute ist der Orient eine Gegend, gegen die sich Europa abschottet.
Aus 103 Bewerbungen wurden 16 ausgewählt
Der Schweinfurter Verein KulturPackt hat nun zum Rückert-Jahr das Motto „Weltpoesie allein ist Weltversöhnung“ aufgegriffen und eine Ausstellung unter dem Titel „Orient trifft Okzident“ konzipiert. Aus 103 Bewerbungen, hat eine Jury 16 ausgewählt, die bis 3. Juli in der Halle Altes Rathaus zu sehen sind.
Unter den Künstlerinnen und Künstlern sind Deutsche und Migranten, Menschen mit und ohne Fluchterfahrung – Kriterien, die bei der Auswahl allerdings keine Rolle spielten. Das Erstaunliche: Man kann das in der Ausstellung spüren. Es ist der Jury um Initiatorin Hille Reick gelungen, nur Arbeiten zu berücksichtigen, die aus sich heraus funktionieren. Denen eine Auseinandersetzung zugrunde liegt, die keinerlei völkerverständigenden Proporz nötig hat.
Und so tritt ein, was Rückert unter Weltversöhnung versteht: Die Zusammenschau der 16 Künstler ergibt ein vielschichtiges Bild der Gemeinsamkeiten, Gegensätze und Annäherungen. Politische Aktualität findet ihren Niederschlag ebenso wie jahrhundertealte Ästhetik. Die 1978 in Teheran geborene Nazanin Fakoor, die in Schweinfurt Abitur machte und heute in Brüssel lebt, hat den Eingangsbereich mit der raumgreifenden Installation aus Spiegelfolie „Ich bin nur Reflexion“ in Besitz genommen. Die Anspielung auf persische Spiegelmosaiken ist nicht unbedingt selbsterklärend, wohl aber die Fragmentierung des eigenen Bildes, die jeder Betrachter erfährt.
Ein Stück Rollrasen mit dem Muster eines Orientteppichs
Barbara Haiduck und Friedrich Dörffler haben ein Stück Rollrasen mit dem Muster eines Orientteppichs besprüht und überantworten so ein Stück zeitloser Kultur der biologischen Vergänglichkeit. Der in Damaskus geborene Khaled Arfeh und der Kurde Joseph Bakir setzen sich in großformatigen Gemälden mit der Fragilität menschlicher Lebensräume auseinander.
Till Ansgar Baumhauer lässt nachrichtliche Motive wie den bombardierten Tankwagen von Kundus in Teppiche knüpfen oder gibt originalen Orientteppichen per „Entknüpfung“ neue Aussagen. So löst er in seiner „Studie zum Verschwinden“ Knoten für Knoten, so dass schließlich ein Gryphius-Gedicht zu lesen sein wird.
In neun Schritten entfaltet sich die Kaaba zu einem Kreuz
Der Münchner Gunnar Becker zeigt in seinem foto- und surrealistischen Gemälde „Aladdin's Choice“ die Überforderung durch Überfluss und Beliebigkeit, während Josef Huber in seinem „Isfahan-Zyklus“ auf vier Tafeln die Hauptfarben islamischer Ornamentik isoliert – eine Arbeit von ganz eigener Ausstrahlung. Von geometrischer Schlüssigkeit die neunteilige Serie aus Stahl „Von der Kaaba zum Kreuz“ von Otto Scherer, die genau das ist, was der Titel verspricht: Der schwarze Kubus der Kaaba entfaltet sich schrittweise zum Kreuz – oder umgekehrt.
Ergül Cengiz aus München, Nichte eines Imams, hat sich mit den mathematisch berechneten Ghiris-Ornamenten auseinandergesetzt, wie sie etwa als Gitter in der Moschee Männer und Frauen trennen. Sie hat die Muster in mehreren großen Scherenschnitten hintereinandergehängt und dabei einige Stege ausgelassen. So ergeben sich Überlagerungen und Lücken, die die Körper der Betrachter beiderseits der Installation verfremden.
Mit alten Orient-Klischees spielt Charly-Ann Codbak in der witzigen Arbeit „Speeddating im Orient“, einer Maschine, die aussieht, als hätten sich Jean Tinguely und Jules Verne zusammengetan. Der Betrachter kann sie per Fußschalter in Gang setzen, und schon rotieren zu scheppernder arabischer Musik turbantragende Galane um morgenländische Schönheiten.
Die Bereitschaft, das Andersartige als Bereicherung zu akzeptieren
Das Bild- und Schriftreservoir von Orient wie Okzident taucht in unterschiedlichsten Zusammenhängen und Kombinationen auf, als gelte es, das Rückert-Wort von der „Poesie in all ihren Zungen“ umzusetzen, das Rudolf Kreutner, Rückert-Beauftragter der Stadt, in seiner Begrüßung zitiert hatte.
Und eine Utopie, wie sie Hille Reick formuliert: „Grundlage jeden friedlichen Miteinanders ist wohl die Akzeptanz der vielförmigen kulturellen Ausdrucksformen, die Bereitschaft, diese als Bereicherung der eigenen Kultur zu verstehen und eine reflektierende Distanz zum eigenen Denken und Handeln als versöhnendes Element zu entwickeln.“
Geöffnet Di.–Fr. 14–18 Uhr, Sa. und So. 11 bis 18 Uhr. Bis 3. Juli, Eintritt frei.


