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Weikersheim
Oper in Weikersheim: Puccini mit Laptop und Handys
In Weikersheim verlegen sie die Handlung der Oper "La Bohème" vom Paris des frühen 19. Jahrhunderts in die Jetztzeit. Das schafft Raum für vielerlei Regieeinfälle.
Moderne Interpretation: Puccinis 'La Bohème' in Weikersheim.
Foto: Käthe Bildstein | Moderne Interpretation: Puccinis "La Bohème" in Weikersheim.
Armin Rausche
 |  aktualisiert: 03.12.2019 11:28 Uhr

Viel Beifall gab es zur Premiere von Giacomo Puccinis "La Bohème", dem Open-Air der Jeunesses Musicales Deutschland (JMD), im Schlosshof zu Weikersheim. Regisseur Patrick Bialdyga verlegt die Handlung vom Paris um 1830 in die Jetztzeit. So ist es nur naheliegend, dass der Dichter Rodolfo seinen Roman, in dem es um Engel geht – Engel mit wunderschönen Augen – auf dem Laptop schreibt. Handys spielen eine große Rolle: die Wichtigkeit, das Glück, die Anerkennung einer Person definiert sich durch Likes und Follower. Trotzdem behält diese Oper, die so heftig von Armut, Hunger und Elendstod handelt, ihren romantischen Charme.

Im Bühnenbild spielt eine große Wand im Hintergrund mit wechselnden Aufschriften und Bildern eine wichtige Rolle. Im ersten Akt (ein Ofen, ein großes Bett, eine Couch, ein Tisch) mit Aufschriften des Romantitels, Love, She, He im zweiten dann ein Plattenspieler. Zwar wird die vom Libretto vorgegebene Kälte (Roman im Ofen verheizt) symbolisiert, aber die Musik, die aus Hungersnot eine Süßspeise, aus Winterkälte strahlend melodisches Feuer macht, lässt dies vergessen. Unter der Leitung von Fausto Nardi tauchen die jungen Musiker des üppig besetzten Nationalen Jugendorchesters Kataloniens, abgesehen von kleinen Ruppigkeiten, gerne in dieses romantische Bad ein.

Erste Liebesszenen auf dem großen Bett

Die Geschichte beginnt in Weikersheim nicht mit Puccini, sondern mit Charles Aznavours Song "La Bohème". Dabei spielen sich schon die ersten Liebesszenen auf dem großen Bett (der Musiker Schaunard und der Philosph Colline), aber auch der erste Krach zwischen Marcello und Musetta ab. Nach der köstlichen Szene mit dem betrunkenen Vermieter Benoit erlebt man nach dem Auftreten von Mimi die ersten musikalischen Höhepunkte, Rodolfos (Antonio Fernandes Brixis) „Che gelida manina” und Mimis (Andrea Cueva Molnar) „Mi chiamano Mimi”. Rodolfo hat zwar eine glänzende Höhe, aber in der Mittellage verliert seine Stimme etwas an Leuchtkraft. Anders bei Mimi. Da sitzt jeder Ton, berückende Pianopassagen und ausgefeilt durchdachte Gestaltung haben die Bravo-Rufe verdient.

Das Café Momus ist eine Disko. Dort wird zunächst unter den Klängen von Jimmy Fontanas „Il Mondo” vom Projektchor getanzt. Der Kinderchor kommt zusammen mit dem Spaßmacher Parpignol mit großen silberglänzenden Buchstaben und natürlich dem Hashtag-Zeichen, um damit Worte wie #Love zu formen. Mimi fühlt sich dort wohl. Der Maler Marcello (sehr ausgeglichene, schöne Baritonstimme von Jeongmeen Ahn) versöhnt sich wieder einmal mit seiner Musetta (temperamentvoll Mengqi Zhang).

Dichterlesung mit Autogrammstunde

Im dritten Bild gibt es eine Dichterlesung von Rodolfo (bei Puccini nicht vorgesehen) mit anschließender Autogrammstunde, danach wird rührend deutlich, dass er sich trotz großer Liebe von Mimi trennen will. Musetta und Marcello streiten wieder.

Im vierten Bild, wieder im Zimmer mit dem großen Bett, auf der Wand die Worte Live und Die, herrscht zunächst fröhliche Stimmung –bis Musetta mit der todkranken Mimi erscheint. Alle wollen ihr helfen. Collines schwerer Abschied von seinem Mantel und noch einmal Mimi, die ihre Liebe in herzergreifenden Tönen ausdrückt, führen zu dem ungewöhnlichen Ende, an dem Rodolfo nur Mimis Mantel neben sich liegen hat, Mimi (oder ihre Seele?) die Rückwand umklappt und „Blackout” erscheint.

Riesiger Beifall, Bravo-Rufe für eine sehenswerte Aufführung. Alleine für Mimi lohnt der Trip nach Weikersheim.

Weitere Aufführungen: 27., 28, 30., 31. Juli, 2., 3., 4. August, jeweils um 20 Uhr.

 
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