Aus dem Volksempfänger scheppert Marschmusik, schwere Stiefel treten im Takt – es ist der Soundtrack der Diktatur, der durch die Ausstellung hallt. Auf die Wände sind, wie mit Kreide, Parolen geschrieben: „Deutsch und echt“ oder „Ehrt eure deutschen Meister“ – es ist der Look der Diktatur. Einer vergangenen Diktatur: Es geht es um den Nationalsozialismus.
Doch ein bisschen Fantasie reicht aus, um zu spüren, dass totalitäre Staaten im Prinzip noch heute so funktionieren: mit Parolen, die über viele Kanäle das ins Bewusstsein hämmern, was die Machthaber stützt. Die mentale Verknüpfung mit dem Jetzt ist durchaus im Sinn der Ausstellungsmacher. Die Sonderschau „Hitler. Macht. Oper.“ (siehe Infobox) im Nürnberger Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände beschränkt sich zwar auf die NS-Zeit. Zielt aber doch auch auf die „Aktualität des Historischen auch im Kontext rechtsextremer Strömungen der vergangenen Jahre“, so Anno Mungen, Professor der Universität Bayreuth, im Katalog.
Die Rolle der Bürger
Die Mechanismen totalitärer Macht werden anhand des Themas „Musiktheater“ gezeigt. Und da wird klar, dass Diktaturen nicht nur durch offensichtliche – und letztlich plumpe – Propagandasprüche funktionieren. Totalitäre Strukturen sind komplexer, sind nicht immer auf Anhieb durchschaubar. Das macht sie gefährlich.
Und: Sie etablieren sich nicht nur durch Druck „von oben“. Die Bevölkerung hilft mit. Nazi-Deutschland gab es nur, weil eine Mehrheit der Bürger hinter der braunen Ideologie stand oder gedankenlos einfach mitmachte.
Im Mikrokosmos des Theaters bildet sich die Entwicklung ab, zeigt sich das Ineinandergreifen von Befehl und Mitläufertum. Die Nazis instrumentalisierten Oper und auch Operette. Im „Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda“ saß Rainer Schlösser, der „Reichsdramaturg“. Er war für die Zulassung oder Ablehnung von Aufführungen zuständig. Der „Kampfbund für deutsche Kultur“, geleitet vom NS-Chefideologen Alfred Rosenberg und später Teil der NS-Organisation „Kraft durch Freude“, veröffentlichte „Richtlinien für eine lebendige deutsche Spielplangestaltung“, Motto: „Deutsche Komponisten! Deutsche Textdichter!“
Weitgehend auf Linie
Doch war es nicht einfach so, dass die Spielpläne vom Regime diktiert wurden, zumindest nicht im Fall von Nürnberg, wo der Fokus der Ausstellung liegt. Einen direkten Einfluss könne man nicht nachweisen, so Professor Mungen im Gespräch. „Es gab natürlich allgemeine Direktiven. Das hat aber wohl auch nicht immer funktioniert.“
Nürnberg, so der Leiter des Forschungsinstituts für Musiktheater im oberfränkischen Thurnau, sei schon in den 1920er Jahren „relativ nahe dran gewesen an dem, was dann von den Nationalsozialisten gefordert wurde“. Das Repertoire sei traditionell konservativ gewesen. Man habe bei der Forschungsarbeit für die Ausstellung „nicht viele Anhaltspunkte zu Schlösser gefunden“. Die realen Nürnberger Spielpläne lagen offenbar ohnehin weitgehend „auf Linie“ mit den Musterspielplänen, so der Musikwissenschaftler.
Das hatte wohl auch mit Johannes Maurach zu tun. Der war von 1922 bis 1939 Nürnberger Generalintendant und, so Professor Mungen, „stark nationalistisch eingestellt“. Sein Nachfolger Wilhelm Hanke sei dann sogar „stramm nationalsozialistisch“ gewesen. In Nürnberg scheint auch die Gesinnung der Verantwortlichen auf Linie gelegen zu haben.
Die braune Ideologie unterwanderte die Kunstfreiheit. Dem Theaterbesucher fiel das womöglich gar nicht auf. Denn auch in der Ästhetik – Inszenierung, Bühnenbild, Kostüme – könne man eine weitgehende Kontinuität zu den 20er Jahren beobachten, so Anno Mungen. „Leicht moderne Ansätze“ habe es auch nach der „Machtergreifung“ in Regiekonzepten gegeben. Etwa bei Wieland Wagners Nürnberger „Ring“. Allerdings: Auch der Enkel von Richard Wagner lag auf Linie: Er war NSDAP-Mitglied und mit dem „Führer“ befreundet.
Subtile Propaganda
Als offensichtliche Propaganda-Veranstaltungen wurden in Nürnberg die Reichsparteitage inszeniert. Auf der Theaterbühne gab es dagegen keine offene Propaganda: „Da waren also keine Hakenkreuze zu sehen“, so Mungen. Die Oper war ein wesentlich subtileres Manipulationswerkzeug. Die Nazis hatten nach 1933 sehr viel Geld in die Theater gesteckt. Der Bildungsbürger fand eine blühende Theaterkultur vor. Die half ihm, sich selbst zu belügen. Denn sie wirkte, als sei die Zivilisation auch in Deutschland noch in Ordnung; als gebe es nicht den Krieg, nicht die Unkultur des Rassismus und die Gräuel der Konzentrationslager. Theater – auch das lag im Kalkül der Machthaber – bot Ablenkung, beruhigte, und half mit, das Fundament der Macht zu festigen.
Mag in den Aufführungen auch alles wie immer gewirkt haben: Hinter den Kulissen war nichts in Ordnung. Jüdische Künstler verloren ihr Engagement. Es war verboten, Werke jüdischer Komponisten aufzuführen – darunter fielen auch Größen der Zunft wie Meyerbeer und Jacques Offenbach.
Und es gab hochrangige Funktionäre wie Benno von Arent. Der fantasierte 1943 in dem Aufsatz „Realismus und Illusion im Bühnenbild“: „Wir bewundern zwar bei dem kulturellen Stand eines Negers dessen Plastiken vom Standpunkt seiner Kultur aus; wenn aber ein Europäer mit der Höhe seiner Kultur dasselbe darstellt, so müssen wir das als kulturlos, weil nicht ausreichend, ablehnen und verurteilen.“
Hat sich eine Ideologie erst einmal in den Köpfen festgesetzt, wird selbst Dummheit noch gefeiert: von Arent war einer der einflussreichsten Bühnenbildner des „Dritten Reichs“.
Die Ausstellung im Nürnberger Dokumentationszentrum
„Hitler. Macht. Oper.“ ist der Titel einer Sonderausstellung im Nürnberger Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände (bis 3. Februar 2019). Zu sehen sind auf 530 Quadratmetern mehr als 350 Ausstellungsstücke – überwiegend Texte und Fotos –, die nüchtern und doch eindringlich dokumentieren, wie die Nazis die Kunst für ihre Propaganda instrumentalisierten.
Richard Wagners „Die Meistersinger von Nürnberg" nehmen breiten Raum ein. Hitlers Lieblingsoper ließ sich gut für die Zwecke der Nazis einspannen. Da wird gewarnt vor „welscher Gefahr“ und vor dem Zerfall von „deutschem Volk und Reich“.
Die Ausstellungsarchitektur ermöglicht dem Besucher einen Blick hinter die Kulissen. Er durchschreitet Intendantenbüro, Hinterbühne und Zuschauerraum. Das in die unvollendete Kongresshalle der Nationalsozialisten hineingebaute Museum bietet auch eine Dauerausstellung.
Öffnungszeiten: Montag bis Freitag 9–18 Uhr, Samstag, Sonntag 10–18 Uhr. Der Katalog zur Sonderausstellung (192 Seiten) kostet 19,95 Euro.