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Weikersheim
"Ohrenknacker": Wenn der Neutöner interessanter ist als Brahms
Neue Ansätze in der Tauberphilharmonie: Das Trio Catch macht zeitgenössische Musik verständlich und erlebbar. Und kommt überraschenderweise ganz ohne Fachjargon aus.
Das Trio Catch mit Sun-Young Nam (Klavier), Boglárka Pecze (Klarinette) und Eva Boesch (Violoncello) in der Tauberphilharmonie Weikersheim. 
Foto: Mathias Wiedemann | Das Trio Catch mit Sun-Young Nam (Klavier), Boglárka Pecze (Klarinette) und Eva Boesch (Violoncello) in der Tauberphilharmonie Weikersheim. 
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 07.04.2020 13:00 Uhr

So könnte es klappen mit der zeitgenössischen Musik: Nicht nur einfach spielen, sondern auch verständlich machen. Besser noch: erlebbar machen. Das Trio Catch aus Hamburg tut das mit Witz und Hingabe, zuletzt am Mittwoch in Weikersheim, vormittags in einer Realschule, abends dann in der Tauberphilharmonie. Boglárka Pecze (Klarinette), Eva Boesch (Violoncello) und Sun-Young Nam  (Klavier) haben dafür ein eigenes Format entwickelt: "Ohrenknacker".

Klingt im ersten Moment ein wenig einschüchternd, erweist sich im zweiten aber als ebenso lehrreich wie unterhaltsam: Zunächst spielt das Trio ein zeitgenössisches Werk komplett durch, ohne Ansage und Erläuterung. Dann erklären die Musikerinnen Besonderheiten wie etwa einen präparierten Flügel, ungewöhnliche Spieltechniken oder technisch knifflige Stellen. Dann gibt es nochmal einen Durchlauf, diesmal für den Zuhörer zwangsläufig aus neuer, kundigerer Perspektive.

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Es kommt nicht oft vor, dass Konzertbesucher nach dem ersten Stück gebeten werden vorzutreten, um den Flügel näher zu betrachten. Bei der dem Trio gewidmeten "Catch Sonata" des französischen Komponisten Gérard Pesson (Jahrgang 1958) ist das eine ziemlich gute Idee. Denn das Instrument ist mit allerhand Keilen, Klammern (französischen Wäscheklammern, die haben eine Gummischicht, um die Wäsche zu schonen) und sogar Knetmasse gezielt hergerichtet worden.

Interessanterweise müssen die Musikerinnen nicht viel über die Machart des Stücks erzählen

So klingen die Saiten mal blechern, mal dumpf, mal glockig. Und manchmal ganz normal. Immer aber so, wie es der Komponist an bestimmten Stellen verlangt. Analog dazu müssen Klarinettistin und Cellistin ihren Instrumenten ungewöhnliche Geräusche entlocken. So soll die Klarinette perkussive Elemente beisteuern. Boglárka Pecze hat lange getüftelt, jetzt benutzt sie dazu die Klappen, wäre aber offen für weitere Vorschläge: "Wenn Sie zufällig eine Idee haben, wie ich das besser machen könnte..."

Eva Boesch muss an einer Stelle in schneller Folge mal vor, mal hinter dem Steg ihres Cellos zupfen. Eine höchst ungewohnte Aufgabe. "Das kennen Sie vielleicht aus Ihrer Kindheit, das ist wie eine dieser Koordinationsübungen", erläutert sie und deutet an, wie sie gleichzeitig den Kopf tätschelt und den Bauch streichelt.

Gérard Pesson spielt mit Gesten, Geräuschen, Rhythmen und sehr engen Intervallen, legt dauernd falsche Fährten und lässt dann sozusagen ein atonales "April, April!" erklingen. Interessanterweise müssen die Musikerinnen gar nicht viel über die kompositorische Machart des Stücks erzählen. Da hilft schon das zweimalige Hören, das ganz nebenbei auch zeigt, wie präzise das Trio die Partitur umsetzt – alle Einsätze, Akzente, Minipausen sind an genau denselben Stellen wie beim ersten Mal. 

Ach ja, vertraute romantische Musik wurde mit dem Brahms-Trio a-Moll op. 114 auch gespielt, und zwar sehr mitreißend. Spannender waren diesmal dennoch die neuen Klänge.

 
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