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Oberst Redl: Der elegante Karriereoffizier mit dem dunklen Geheimnis
dpa
 |  aktualisiert: 16.01.2013 18:04 Uhr

Der spektakuläre Spionagefall erschütterte die österreichisch-ungarische Monarchie in ihren Grundfesten. Oberst Alfred Redl, Vize-Chef des sogenannten Evidenzbüros, des Militärgeheimdienstes der k.u.k.-Monarchie, wurde im Mai 1913 als Spion feindlicher Mächte entlarvt. Mehr als zehn Jahre lang hatte er wichtige militärische Geheimnisse an Russland, Frankreich und Italien weitergegeben. Seine Vorgesetzten drängten Redl zum Selbstmord.

Der stets elegante, kompetent wirkende, einem ausschweifenden Lebenswandel frönende Karriereoffizier mit dem dunklen Geheimnis zog die Nachwelt in seinen Bann. Sein undurchschaubarer Charakter und seine homosexuelle Neigung eigneten sich zur Dämonisierung als „Totengräber der Monarchie“ ebenso wie zur Verklärung als Opfer von düsteren Intrigen und Machenschaften der Weltenlenker. Inspiriert durch zahllose Sachbücher, Romane und Filme, hat sich ein Wildwuchs von Mythen über die Gestalt des historischen Redl gelegt. Die beiden Wiener Geschichtswissenschaftler Verena Moritz und Hannes Leidinger verweisen viele dieser Legenden ins Reich der Fantasie. In ihrem Buch „Oberst Redl. Der Spionagefall, der Skandal, die Fakten“ werten die beiden erstmals die einschlägigen russischen Akten aus. Damit ließ sich faktisch erhärten, was Redl an das Zarenreich verraten hat.

Darunter waren die Mobilisierungsanweisungen für die Kriege gegen Russland und Italien, die „Kriegs-Ordre de bataille“ (die Zuweisung der einzelnen Truppenteile zu den Verbänden bei Beginn eines Feldzugs) für Russland und den Balkan, zahlreiche Festungspläne, Transportlisten und Manöverbeschreibungen, nicht aber der Aufmarschplan Österreich-Ungarns. Gewiss konnte Redl den Russen – und den mit ihnen verbündeten Serben – einen „unschätzbaren Wissensvorsprung verschaffen“, konstatieren Moritz und Leidinger. Doch kriegsentscheidend war das nicht. Denn das große Schlachten begann erst ein Jahr später, zu einem Zeitpunkt, „als sich die strategischen Überlegungen der Spitzenmilitärs wesentlich zu ändern begannen“. So habe die Donaumonarchie den Ausbau der Eisenbahnkapazitäten in Russland und die Aufrüstung Serbiens mit modernen Geschützen einfach unterschätzt, meint Leidinger.

Keine Belege in russischen Archiven ließen sich für die allgemein geläufige Darstellung finden, wonach der zaristische Geheimdienst Raswedka den aufstrebenden Redl mit seiner Homosexualität zur Mitarbeit erpresst hätte. Genötigt wurde er vielmehr von seinen Liebhabern, deren Ansprüche zu befriedigen Unsummen von Geld verschlang. Dem Zarenreich hat sich Redl ganz von selbst angeboten, schlicht und einfach, weil er Geld brauchte. Da er geschickt mit selbst kreierten Decknamen und Scheinadressen arbeitete, dürften die Russen gar nicht gewusst haben, wer sich hinter ihrem Topinformanten „Nr. 25“ verbarg.

Redl, hochbegabter Sohn eines österreichischen Eisenbahnbeamten aus Lemberg (heute: Lwiw/Ukraine), wurde eher zufällig enttarnt. Zu dem Zeitpunkt arbeitete er nicht mehr im Evidenzbüro, sondern war Generalstabschef des 8. Korps in Prag. Am 24. Mai 1913 reiste er mit Sportwagen und Chauffeur nach Wien, um die schwer kriselnde Beziehung zu seinem Liebhaber Stefan Horinka zu retten. Bei der Behebung des feindlichen Zuträger-Lohns am Wiener Hauptpostamt tappte er, offenbar durch das Drama in seinem Liebesleben aus der Fassung geraten, ziemlich unprofessionell in die Falle der österreichischen Abwehr.

In seinem Zimmer im Hotel Klomser angekommen, konfrontierte ihn eine Abordnung des Generalstabs mit der schockierenden Wahrheit. Doch die peinliche Geheimdienst-Panne sollte vertuscht werden. Man händigte Redl einen Revolver aus und appellierte an seine „Offiziersehre“. Noch in derselben Nacht erschoss er sich. Tags darauf erschien in den Zeitungen ein dürres Kommuniqué der Armeeführung, wonach Redl „im Zustande hochgradiger Neurasthenie“ (nervliche Erschöpfung) Selbstmord verübt hätte.

Verena Moritz, Hannes Leidinger: Oberst Redl. Der Spionagefall, der Skandal, die Fakten (Residenz Verlag, 332 Seiten, 24,90 Euro)

 
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