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WÜRZBURG
Nur noch müde, lebensmüde
Literaturdienst - Peter Härtling       -  Peter Härtling
Foto: dpa | Peter Härtling
Von unserem Mitarbeiter Welf Grombacher
 |  aktualisiert: 03.12.2019 10:20 Uhr

Peter Härtling musste in seinen letzten Lebensjahren einiges durchleiden. Zwei Herzinfarkte, vier Stents, einen Schlaganfall, Diabetes, fast zwei Jahre lang dreimal pro Woche Dialyse wegen eines drohenden Nierenversagens. Seinen Büchern merkte man das nicht an. In ihnen setzte der „Kopfwanderer“, wie er sich selbst gerne nannte, seinen körperlichen Gebrechen eine sinnstiftende Welt des Geistes entgegen. So entstanden zauberhafte Spätwerke wie „Liebste Fenchel!“ (2011), „Tage mit Echo“ (2013) oder „Verdi“ (2015), mit denen Härtling das Alter einfach wegschrieb.

Posthum ist jetzt der letzte Roman des am 10. Juli 2017 gestorbenen Schriftstellers erschienen. „Der Gedankenspieler“ heißt er, und zum ersten Mal fällt die Maske. Zwei Monate vor seinem Tod hat Härtling die Arbeit am Manuskript abgeschlossen. Ganz unverblümt ist darin von Alter und Krankheit die Rede. Jeder Fluchtversuch in eine Welt des Geistes scheitert. Zwar heißt die Hauptfigur im Buch Johannes Wenger und ist Architekturjournalist. Allein anhand der Krankenakte aber lässt sie sich unschwer als Alter Ego von Härtling identifizieren.

In den Architektenbüros von Günter Behnisch, Rolf Gutbrod und Werner Düttmann hat Wenger gelernt, musste aber einsehen, dass seine Stärke nicht im Bauen, sondern im Beschreiben von Bauten besteht. Also hat er sich einen Namen als Architekturkritiker gemacht.

Ein Gefangener seiner selbst

Ein „notorischer Einzelgänger, Einsamkeitsverkoster, einer, der Häuser gebaut hat und unbehaust blieb“ ist Johannes Wenger. Noch mit 83 bekommt er ab und an einen Auftrag von einer Architekturzeitschrift, den er aus Eitelkeit annimmt, auch, wenn die Arbeit ihn lange schon überfordert. Als ihn nach einer falschen Bewegung ein stechender Schmerz in der Leistengegend an den Rollstuhl fesselt, engen sich seine Kreise restlos ein. „Ich bin ein Gefangener meiner selbst“, sagt er über sich. Der mehrmals am Tag anrollende Pflegedienst und sein Freund und Arzt Doktor Mailänder, sind die Einzigen, mit denen er noch ein Wort reden kann.

Schonungslos hat der 1933 in Chemnitz geborene Härtling das Dahinvegetieren seiner Figur beschrieben. Dessen andauernde Müdigkeit und die Wut, als er es alleine nicht mal mehr schafft, aus dem Sessel aufzustehen. Als Doktor Mailänder eine Kollegin heiratet, verspürt Wenger Angst und Eifersucht, der Freund könne keine Zeit mehr für ihn haben. Das aber ist unbegründet. Besuchen ihn doch bald auch die Frau Mailänders und deren Tochter Katharina, die sich lange schon einen Opa wünscht. Sogar in den Urlaub nach Travemünde nimmt die Familie den kranken Wenger mit. Der Alte genießt das, obwohl ihm doch eigentlich alles zu viel ist. „Er wollte bei sich bleiben. Er wollte sich nicht für andere anstrengen müssen.“

Auch die Briefe, die Wenger im Geist an Fontanes Stechlin, an den Baumeister Schinkel oder den Dichter Nazim Hikmet schreibt, bieten keinen Ausweg aus dem profanen Leben mehr. Wenger ist nur noch müde, lebensmüde.

Mitunter liest sich das sehr belastend, führt der Roman doch vor, was im Alter unweigerlich auf einen zukommt. Irgendwann lässt sich das Leben nicht mehr schönreden. Selbst ein Literat kann das nicht. Härtlings Roman wird so zu einem Eingeständnis an das Reale und lässt den Leser entmutigt zurück. So schöne Bücher hat dieser Schriftsteller geschrieben. Bei diesem aber stellt man sich die Frage: Will man sich das wirklich antun? Will man Härtling so in Erinnerung behalten?

Peter Härtling: Der Gedankenspieler. Kiepenheuer & Witsch, 230 Seiten, 20 Euro

 
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