Es ist der kräftigste orangefarbene Fleck auf der Landkarte – ein Synonym für warmes Wetter. Mehr weiß der Schriftsteller nicht über Cabo de Gata, einen Landzipfel in Andalusien. Doch das genügt ihm als Fluchtpunkt. Er lässt sein altes Leben hinter sich, den Winter in Deutschland, seine gescheiterte Beziehung, die Schreibblockade. Nur mit einigen Heften bewaffnet macht er sich auf in den Süden.
Doch Cabo de Gata entpuppt sich nicht gerade als Paradies. Im Gegenteil. Es ist ein unwirtlicher Platz mit schweigsamen Menschen, einer zugemüllten Landschaft und einem müden, grauen Meer. 2011 wurde Eugen Ruges (58) Roman „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet. In diesem Familien- und Gesellschaftsporträt, das zum Besteller wurde, holt der Autor weit aus: Er beschreibt das Leben einer ostdeutschen Familie über mehrere Generationen, wechselt die Schauplätze, springt zwischen den Zeiten, schildert Tragödien, Abstürze, Desillusionierungen. Ganz anders dagegen sein neuer Roman, „Cabo de Gata“, der eigentlich mehr Novelle ist.
Auf den 200 Seiten passiert nicht viel. Der Ich-Erzähler verbringt 123 Tage in jenem Küstenort, Tage, in denen er vergeblich versucht, einen Roman zu schreiben. Die Zeit tröpfelt so vor sich hin. Der Schriftsteller kommt bei einer älteren Witwe unter, er isst in einem Restaurant, wo er von einer muffigen „Dickärschigen“ bedient wird, ein stummer Barmann serviert ihm täglich seinen Kaffee.
Minimalistischer Dialog
Mit einem Fischer entspinnt sich immer wieder der gleiche minimalistische Dialog: „Viel Arbeit?“ „Wenig Fisch.“ Insgesamt empfindet der Autor die Menschen in dem Ort als gleichgültig, wenn nicht gar als abweisend. Seine schlechten Spanischkenntnisse tragen auch nicht gerade zur Verbesserung der Kommunikation bei. Nur ein Wesen zeigt in dieser unfreundlichen Umgebung größeres Interesse an dem Fremden, eine rotgetigerte Katze, eigentlich keine Seltenheit am Cabo de Gata, dem Katzenkap. Doch dieses Tier ist etwas Besonderes, bald entwickelt sich eine intensive Beziehung. Die Katze scheint dem Autor eine Botschaft zu vermitteln, doch welche? Hat sie nicht Ähnlichkeit mit seiner verstorbenen Mutter, die ihm immer wieder im Traum erscheint? Zumindest hat sie ihre grünen Augen: „Und obwohl ich mir natürlich nicht ernstlich zu glauben gestatte, dass sie meine Mutter ist, kommt mir ein bisschen inzestuös vor, was wir da treiben.“ Doch durch seine Ungeschicklichkeit vertreibt der Schriftsteller am Ende die Katze.
Die Geschichte spielt Mitte der 1990er Jahre. Die Wende ist noch ganz frisch, und der Ich-Erzähler ist, wie Ruge damals, etwa 40 Jahre alt, ein ehemaliger DDR-Bürger und gelernter Naturwissenschaftler, der zum Ärger seines Vaters Literat geworden ist. Wer von Ruge eine Art Fortsetzung seines Erfolgsromans erwartet hatte, wird sich enttäuscht sehen. „Cabo de Gata“ ist eher ein Gegenentwurf, eine stille Novelle, die vom Atmosphärischen lebt, von eindrücklichen Bildern und Stimmungen, die das Innenleben des Schriftstellers widerspiegeln.
Eugen Ruge: Cabo de Gata (Rowohlt, 208 Seiten, 19,95 Euro)