Die Richterin Fiona Maye hat stets das Wohl der Kinder im Blick – auch wenn das nicht immer gleich ersichtlich ist. Die Fälle, mit denen sie am Familiengericht zu tun hat, sind komplex: siamesische Zwillinge, bei denen der eine Junge nur überleben kann, wenn der andere stirbt; religiöse Eltern, die über die richtige Erziehung der Kinder streiten – und nun ein fast 18-jähriger Zeuge Jehovas, der keine Blutkonserven bekommen will, obwohl sein Leben davon abhängt.
Fiona Maye gilt als hervorragende Richterin: Ihre Urteile sind stets besonnen, gut begründet und immer im Sinne der Kinder. Als die 60-jährige, kinderlose Frau den Fall des kranken Zeugen Jehovas auf den Tisch bekommt, steckt sie in einer persönlichen Krise. Ihr Mann hat ihr gerade erklärt, dass er mit ihrem Liebesleben unzufrieden ist, und ihr eröffnet, dass er gerne eine Affäre haben würde. Fiona Maye weiß nicht, wie sie darauf reagieren soll – und stürzt sich weiter in die Arbeit.
Begegnung im Krankenhaus
Innerhalb weniger Stunden soll sie entscheiden, ob einem Fast-Erwachsenen gegen seinen ausdrücklichen Willen Bluttransfusionen verabreicht werden. Nachdem im Gerichtssaal alle Parteien zu Wort gekommen sind, entscheidet Fiona Maye, erst noch den Patienten im Krankenhaus zu besuchen, bevor sie ihr Urteil verkündet. Die Begegnung zwischen der alten Richterin und dem jungen Mann verläuft anders als erwartet – und hat weitreichende Folgen.
Schnörkellos, präzise und sehr eindringlich beschreibt der britische Erfolgsautor McEwan das Gefühlsleben einer erfolgreichen, kinderlosen Frau, die es gewohnt ist, immer alles unter Kontrolle zu haben – und die allmählich die Kontrolle über sich und ihr Leben verliert. Ein kluger, mitreißender Roman.
Ian McEwan: Kindeswohl (Diogenes, 224 Seiten, 21,90 Euro)