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COLONIA DIGNIDAD - ES GIBT KEIN ZURÜCK
Neu im Kino: Die Colonia Dignidad und ihre fränkischen Freunde
Kinostart - 'Colonia Dignidad - Es gibt kein Zurück'       -  Auf derf Flucht: Szene aus „Colonia Dignidad“ mit Emma Watson und Daniel Brühl.
Foto: Ricardo Vaz Palma/Majestic, dpa | Auf derf Flucht: Szene aus „Colonia Dignidad“ mit Emma Watson und Daniel Brühl.
Denise Schiwon
 und  Manfred Schweidler
 |  aktualisiert: 27.04.2023 01:09 Uhr

Der Deutsche Paul Schäfer gründete in den 60er Jahren im Süden von Chile die Sekte Colonia Dignidad – Kolonie der Würde. Ein Name, wie er zynischer kaum sein könnte. Denn in dem Siedlungsgebiet wurden politische Gefangene des Militärregimes gefoltert, der Alltag der Sektenmitglieder war gezeichnet von Menschenrechtsverletzungen, Missbrauch, Psychoterror. Chile im Jahr 1973. Zahlreiche Bürger demonstrieren gegen General Augusto Pinochet, der sich gegen Präsident Allende an die Spitze der Regierung putscht. Auch Daniel (Daniel Brühl) geht mit seiner Studentenverbindung auf die Straße. Als Fotograf fertigt er die Plakate an und dokumentiert die Entwicklung im Land.

Seine Freundin Lena (Emma Watson) hat als Stewardess einen kurzen Aufenthalt in Chile, als die Militärs die Macht an sich reißen. Der Geheimdienst schlägt die Demonstranten nieder und verhaftet zahlreiche von ihnen – auch Daniel. Lena macht sich auf die Suche nach ihrem Freund und erfährt, dass er zur Colonia Dignidad gebracht wurde.

Seine Studentengruppe hat allerdings nicht vor, ihn zu befreien, und taucht in den Untergrund ab. Somit macht sich die Stewardess alleine auf den Weg zur abgelegenen Sektengemeinde von Paul Schäfer (Mikael Nyqvist) und tritt ihr bei, fest entschlossen, ihren Freund zu befreien. Ihren Arbeitskollegen hinterlässt sie eine Nachricht am Flughafen, dass sie beim nächsten Flug in einer Woche wieder dabei sein wird. Nach vier Monaten ist sie jedoch immer noch in der Colonia Dignidad. Auf das Thema für den ebenso spannenden wie beklemmenden Politthriller war Regisseur Florian Gallenberger („John Rabe“) schon in der Grundschule gestoßen: Seine Lehrerin zeigte der Klasse eine Reportage über die Kolonie.

Zähe strafrechtliche Aufarbeitung

Vor einigen Jahren las der Oscar-Preisträger – für seinen Kurzfilm – wieder über die Sekte und entschied sich dazu, einen Film zu drehen: „Es ist eine Reise in einen sehr schrecklichen, aber unglaublichen Kosmos.“ Auch wenn Daniel und Lena fiktive Figuren sind, basiert „Colonia Dignidad – Es gibt kein Zurück“ auf wahren Begebenheiten. In der Vorbereitung hätten vor allem die Gespräche mit Überlebenden geholfen, meint Hauptdarsteller Daniel Brühl.

„Anfangs war ich sehr zögerlich, was ich fragen darf, ohne zu weit zu gehen. Aber die Betroffenen waren sehr willens, darüber zu berichten.“ Vor Ort gedreht wurde der Film allerdings nicht. „Das kann man den Menschen, die heute noch da leben, nicht antun“, sagt Produzent Benjamin Herrmann. Denn der bayerische Stil wird dort bis heute kultiviert, einige Überlebende wohnen immer noch auf dem Gelände. Deshalb entstanden die Aufnahmen unter anderem in Luxemburg, München und Argentinien gedreht.

Die strafrechtliche Aufarbeitung der Verbrechen in der Colonia Dignidad verläuft bis heute zäh. Nur wenige Verantwortliche wurden rechtskräftig verurteilt. 2006 wurde Sektenführer Schäfer wegen Mordes, sexuellen Missbrauchs in 25 Fällen und Folter zu 20 Jahren Haft verurteilt. 2010 starb er im Alter von 88 Jahren im Gefängnis.

Fränkische Freunde der Folterkolonie

Die Colonia Dignidad deutschstämmiger Aussiedler in Chile ist für die Würzburger Universität ein heikles Thema. Denn Militärdiktator August Pinochet konnte sich lange auf seine erzkonservative Würzburg-Connection verlassen: Der (2005 verstorbene) Staatsrechtler Dieter Blumenwitz unterstützte sogar 1980 gutachterlich die von Pädophilen betriebene Foltersiedlung gegen Vorwürfe von Amnesty International. Viermal war dort auch der (2000 verstorbene) Soziologieprofessor Lothar Bossle zu Gast – im Unterschied zu Kritikern, denen die Türen versperrt blieben.

Immer wieder reisten CSU-Gruppen in die Kolonie, die sich ihrerseits mit Bayern-Symbolen und Strauß-Bildern schmückte. Strauß-Günstling Bossle – gegen dessen Berufung es schon an der Würzburger Uni wütende Proteste gab – hatte Zugang zu höchsten Regierungskreisen. Santiagoer Blätter zitierten Bossle 1987 mit Sprüchen wie: „Chile ist auf dem Weg zu einer wahren Demokratie.“

Dokumente, die in Chile 2012 der Deutschen Presse-Agentur (dpa) zugänglich gemacht wurden, belegen: Bossle warnte intern vor einer Medienkampagne, die die Zustände der angeblichen Musterkolonie aufs Korn nehmen sollte. Dass dort auch der chilenische Geheimdienst Gefangene folterte, sollte ebenfalls Thema der Berichterstattung werden.

Bossle und der Kuratoriumspräsident der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM), Ludwig Martin, seien „bewährte Freunde Chiles“, versicherte Chiles Vize-Außenminister General Francisco Ramírez Migliassi: „Ihre jeweiligen Institutionen haben in Deutschland die ungerechte Desinformationskampagne (wegen der Colonia Dignidad) angeprangert.“

Doch dann wurden die Klagen in Deutschland so laut, dass Arbeitsminister Norbert Blüm (CDU) und Außenminister Hans-Dietrich Genscher den Besuch einer unabhängigen Untersuchungskommission androhten. Da notierte der „Spiegel“ 1987 neue Töne von Colonia–Besucher Bossle: Da „werden die Menschenrechte von vielen Deutschen durch einen Deutschen verletzt“, will er Pinochet gesagt haben – Sektenführer Paul Schäfer müsse weg. Der habe entgegnet: Falls Bonn ein Ersuchen stelle, werde er, der „bisher nur Gutes“ über die Siedlung gehört habe, „sofort handeln“.

Plötzlich war Schäfer bereit, die Colonia zum „Konsularsprechtag“ zu öffnen. Davon hielt Bossle nicht viel: Da bekäme man „nur Fassade“ vorgeführt, sagte er dem „Spiegel“.

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